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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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auf, dass Belles Teller von der Anrichte verschwunden war.
    Der Laden der Putzmacherin befand sich am Ende einer Ge bäudereihe, in der es noch ein Lebensmittelgeschäft, einen Zeugmacher, einen Süßwarenladen und eine Drogerie gab. Das Gelände hinter den Gebäuden schien kaum genutzt zu werden, nur hinter einem Haus sah Honor einen Gemüsegarten, hinter einem anderen hing Wäsche auf der Leine. In Belles Garten gab es lediglich einen Stapel gehobelter Holzlatten, weiter hinten stand mitten im wild wachsenden Gras eine an einen Pflock gebundene Ziege. »Bleiben Sie vom Holz weg«, warnte Belle, »da sind Schlangen drin. Und die Ziege lassen Sie auch besser in Ruhe, die gehört den Nachbarn und ist bösartig.« Es gab noch ein Klohäuschen und einen ans Haus gelehnten Holzschuppen, aber ihre Energie steckte Belle eindeutig in den Laden.
    Honor setzte sich, öffnete das Nähkästchen und breitete ihre Sachen aus – wenigstens ein vertrautes Ritual. Das Nähkästchen hatte früher ihrer Großmutter gehört, doch als deren Augen immer schlechter wurden, hatte sie es der besten Näherin unter ihren Enkelinnen überlassen. Das Kästchen war aus Walnussholz und hatte einen gepolsterten Deckel mit aufgestickten Maiglöckchen. Der Anblick dieser Maiglöckchen war Honor von klein auf vertraut; wenn sie die Augen schloss, konnte sie die Blumen vor ihrem inneren Auge heraufbeschwören. Während ihrer Seekrankheit auf dem Schiff hatte sie das oft getan, um sich abzulenken. Im oberen Einsatz des Kästchens lag ein Nadelköcher, den Grace für Honor mit Stoff bezogen und mit ähnlichen Maiglöckchen wie auf dem Deckel bestickt hatte; es gab noch einen Nadeleinfädler, einen Porzellanfingerhut mit gelben Rosen, den ihr ihre Mutter geschenkt hatte, ein von ihrer Freundin Biddy angefertigtes, mit Perlen besetztes Nadelkissen, Nadelbriefchen aus grünem Papier, eine kleine Dose mit einem Klumpen Bienenwachs, den Honor für die Quiltfäden brauchte, und in einer weichen Lederhülle die kleine Nähschere ihrer Großmutter mit dem grüngelben Emaillegriff.
    Belle beugte sich vor, um alles zu begutachten. »Hübsch. Und was ist das hier?« Sie nahm kleine Metallscheiben in der Form von Sechsecken, Rauten, Quadraten und Dreiecken aus dem Kästchen.
    Â»Schablonen fürs Patchwork. Die hat mein Vater für mich gemacht.«
    Â»Ach, Sie sind Quilterin?«
    Honor nickte.
    Â»Und was ist unten drin?«
    Honor hob den Einsatz aus dem Kästchen und brachte so verschiedenfarbige Garnrollen zum Vorschein. Eine jede steckte an ihrem festen Platz.
    Belle nickte anerkennend, dann griff sie zwischen die Rollen und zog einen kleinen silbernen Fingerhut heraus. »Gehört der nicht mit in den oberen Teil?«
    Â»Nein!« Samuel hatte ihr den Fingerhut geschenkt, nachdem sie sich zueinander bekannt hatten. Benutzen wollte Honor ihn nicht mehr, aber trennen konnte sie sich auch nicht von ihm.
    Belle hob die Augenbrauen, da Honor aber nichts mehr sagte, ließ sie den Fingerhut zurück zwischen die Garnrollen fallen. Die penible Ordnung im Nähkästchen war gestört. »Schon gut, Honor Bright«, schmunzelte sie, »jeder hat seine Geheimnisse. Jetzt wollen wir aber anfangen. Haben Sie schon mal auf Stroh gearbeitet?«
    Honor schüttelte den Kopf. »Hüte habe ich überhaupt noch nie gemacht, nur Hauben.«
    Â»Ich wette, Sie besitzen ohnehin nur zwei Hauben – eine für den Winter und eine für den Sommer. Ihr Quäker haltet nicht viel von schicker Kleidung, stimmt’s? Dann fangen Sie am besten mit Stoff an. Hier habe ich eine Sonnenhaube für Mrs Bradley, die noch nicht ganz fertig ist. Sie ist nicht aus Stroh, sondern aus Ripsstoff. Die meisten Frauen hier nähen sich ihre Sonnenhauben selbst, aber Mrs Bradley ist der Meinung, sie habe es nicht nötig, eine Nadel in die Hand zu nehmen. Denken Sie, Sie können das? Hier ist der Faden. Ich habe mit einer Sechsernadel gearbeitet.« Belle reichte Honor eine Haube aus weichem Stoff, deren Einzelteile nur lose aneinandergeheftet waren und noch festgenäht werden mussten. Es war ein recht einfaches Modell aus hellblauem Stoff mit feinen gelben und weißen Streifen. Hinten hatte die Haube ein langes, breites Bavolet, das den Nacken der Trägerin vor der Sonne schützte. Honor hatte noch nie eine vergleichbare Kopfbedeckung gesehen –

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