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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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sie hier?« Geduldig beantwortete Belle alle Fragen. Bis zum Abend wussten sicher sämtliche Frauen in Wellington, dass Honor aus England kam, eigentlich nach Faithwell wollte und Belle nur ein paar Tage beim Nähen helfen würde. Belle warb mit Honor sogar für ihren Laden: »Honor ist eine sehr gute Näherin – sie ist sogar besser als ich. Wenn Sie heute noch eine Haube bestellen, lasse ich sie von Honor anfertigen. Ihre Nähte sind so fest, dass Sie ein Leben lang Freude an der Haube haben werden, es sei denn, Sie sind sie irgendwann leid und wollen eine neue. Dann könnten Sie sich allerdings ärgern, dass Sie eine Haube von Honor Bright gekauft haben, denn die gehen einfach nicht kaputt, und Ihnen fehlt die Entschuldigung, sich eine neue zu kaufen.«
    Als es zu dämmern begann, schloss Belle den Laden und machte mit Honor einen Spaziergang durch Wellington. Die Stadt war kaum mehr als ein versprengter Haufen Häuser und Läden, die sich um eine Wegkreuzung angesiedelt hatten. Die wenigen breiten Straßen waren rasterförmig von Norden nach Süden und Osten nach Westen angelegt, und in der Mitte des Rasters weitete sich die Main Street zu einem rechteckigen Platz. Hier standen das Rathaus, eine Kirche, ein Hotel und die Ladenzeile mit Belles Geschäft. In den Nachbarstraßen entdeckte Honor noch mehrere Kramläden, einen Schuster, einen Schneider, einen Möbelschreiner, eine Ziegelei und eine Wagnerei. Die meisten Häuser hatten zwei Stockwerke und waren aus Holz gebaut, mit Vordächern über großen Fenstern, in denen die Waren ausgestellt lagen. Es gab eine Schule und ein fast fertiges Eisenbahndepot, denn spätestens im Sommer sollten die Züge bis Wellington fahren. »Wenn die Eisenbahn erst da ist, wird diese Stadt explodieren«, erklärte Belle. »Gut fürs Geschäft. Und gut für meine Hüte.«
    Als sie durch die Straßen schlenderten, überkam Honor das unbehagliche Gefühl, das sie in allen amerikanischen Städten auf ihrer Reise nach Ohio beschlichen hatte: Hier war alles so schnell aus dem Boden gestampft worden, dass es genauso schnell wieder von einem Feuer oder den Unbilden des extremen amerikanischen Wetters weggewischt werden konnte. Sie hatte bereits von den Hurrikans, Tornados und Blizzards gehört. Obwohl die Ladenfronten noch recht neu zu sein schienen, hatten Sonne und Schnee bereits deutliche Spuren hinterlassen. Die Straßen waren an manchen Stellen trocken und staubig, an anderen wieder feucht und matschig.
    Egal, wo sie hingingen, überall waren die Holzplanken, die über matschige Straßenabschnitte führten, von Speichelklumpen übersät. Als Honor und Grace in New York angekommen waren, hatten sie erstaunt beobachtet, dass amerikanische Männer ständig und überall ausspuckten – sie liefen immer mit einer dicken Backe voll Kautabak herum. Genauso erstaunlich fand Honor, dass das Spucken außer ihnen niemanden zu stören schien.
    Belle nickte jedem Passanten zu, dem sie begegneten, und wenn es sich um eine Frau handelte, blieb sie stehen, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Die meisten Frauen in Wellington trugen Alltagshauben, einige jedoch auch Hüte, an deren eigenwilligen Formen und Schmuckbesatz Honor Belles Handschrift erkannte. Belle bestätigte es. »Die Hauben nähen sich viele Frauen selbst, doch die Hüte sind alle von mir. Am Sonntag in der Kirche bekämest du noch mehr Modelle zu sehen. Wellingtons Damen würden es niemals wagen, einen Hut von einer Putzmacherin aus Oberlin zu tragen, denn sie wissen genau, dass ich ihnen dann nie wieder etwas verkaufen würde. Nichts gegen Oberlin, aber man kauft doch in der eigenen Stadt, oder?« Belle selbst hatte für den Spaziergang einen Strohhut aufgesetzt, dessen breites orangefarbenes Band mit bunten Strohblumen besetzt war.
    An einer Ecke des großen Platzes befand sich das überraschend imposante Hotel der Stadt: ein lang gestrecktes, zweistöckiges Gebäude, über dessen Front sich auf jeder Etage ein Balkon zog, getragen von mehreren weißen Säulenpaaren. »Das Wadsworth Hotel«, erklärte Belle. »Der einzige Ort in der Stadt, an dem man einen anständigen Drink bekommt – auch wenn Sie das nicht interessieren dürfte. Ihr Quäker rührt doch keinen Alkohol an, oder?«
    Honor schüttelte den Kopf.
    Â»Ich persönlich trinke meinen Whiskey lieber zu

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