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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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strecken musste. Nicht alle Quäker waren von Natur aus still.
    Die Frau, die neben ihr stocksteif im Stroh lag, hatte sicher nicht Honors jahrelange Erfahrung im bewegungslosen Sitzen. Trotzdem verhielt sie sich so ruhig, dass sich nicht ein Strohhalm rührte. Honor hörte lediglich ein paar Mäuse, die in einem Nest in der Nähe fiepten und raschelten, und einmal den feuchten Lidschlag der Frau: ein Geräusch, das in der Stille unnatürlich laut wirkte. Es schien fast, als hielten die beiden Frauen einen Wettbewerb ab, wer am längsten völlig bewegungslos liegen konnte.
    Dann hörte Honor das Schnappen eines Stocks und das Ächzen eines Lederstiefels. Alles in ihr spannte sich an. Auch Donovan nahm an dem Wettbewerb teil, obwohl er nicht so gut war wie die Frauen. Die Sklavin lag weiter völlig still, nur einmal hörte Honor, wie sich ihre Zunge mit einem »Tock« vom Gaumendach löste.
    Das Geräusch wirkte fast wie ein Signal. Knirschend rieb Metall an Metall, als Donovan den Riegel des Scheunentors zurückschob und einen der Türflügel öffnete. Nach der alles durchdringenden Dunkelheit leuchtete das Licht seiner Laterne heller als die Sonne. Als Donovan in die Scheune trat, wurde der Drang wegzulaufen fast übermächtig, doch Honor wusste, dass er sie einholen würde. Sie hatten keine andere Wahl, als zu bleiben, wo sie waren. Jetzt war mehr gefordert, als sich nur vollkommen still zu verhalten; sie mussten sich regelrecht auflösen, damit Donovan ihre Gegenwart nicht spürte. Das war viel schwieriger, als einfach nur stillzuhalten, denn es bedeutete, das Innere Licht zu ersticken und zu löschen.
    Obwohl es gegen ihren Instinkt ging, schloss Honor die Augen. Lieber hätte sie Donovan beobachtet, dessen Umrisse immer wieder im Licht aufflackerten, während er mit der Laterne in alle Ecken leuchtete. Doch wenn sie ihr Sehvermögen ausschaltete und im Geist die Scheune verließ, konnte sich ihr Ich vielleicht völlig zusammenziehen. Sie versuchte, in Gedanken zurück über den Ozean zu reisen, und sah sich mit ihrer Mutter und ihrer Schwester auf dem Colmer Hill vor den Toren von Bridport stehen und auf die See hinausblicken.
    Â»Honor Bright.« Donovan sprach ihren Namen aus, als wüsste er, dass sie da war. Seine Stimme holte sie zurück in die Scheune. Obwohl Honor die Augen nicht öffnete, spürte sie seinen Blick durch das Stroh dringen. Ihr Geist wollte zu ihm, obwohl er doch für alles stand, was sie ablehnte.
    Die Luft in der Scheune war plötzlich zum Schneiden dick.
    Die entflohene Sklavin reagierte lediglich mit einem weiteren Wimpernschlag auf die atmosphärische Veränderung.
    Eine Zeit lang verhielten sich alle drei Menschen in der Scheune völlig still.
    Schließlich räusperte sich Donovan. »Diesmal lass ich’s dir durchgehen, Honor. Weiß auch nicht, warum. Aber es wird nie wieder passieren, das verspreche ich dir.«
    Nachdem der letzte Hufschlag seines Pferdes verklungen war, wartete Honor noch eine Viertelstunde, bevor sie sich im Stroh aufsetzte und ihre verkrampften Beine lockerte. »Gut«, sagte sie. »Er ist weg.«
    Die Schwarze bewegte sich immer noch nicht.
    Â»Ich habe noch nie einen so stillen Menschen erlebt«, lobte Honor die Frau. »Sie würden eine gute Quäkerin abgeben.«
    Schließlich hörte sie doch etwas: das Geräusch eines Lächelns.
    Â»Wissen Sie, wo Sie hinmüssen?«, fragte Honor, als sie draußen vor der Scheune standen.
    Die Frau blieb weiter stumm und deutete nur auf einen Stern am nördlichen Himmel: den Polarstern. Samuel hatte Honor einmal erklärt, dass sich alles am Nachthimmel um diesen einen unscheinbaren Stern drehte, und weil er sich selbst nicht bewegte, konnte man sich an ihm orientieren. Es erstaunte Honor immer wieder aufs Neue, dass es am Himmel, an dem doch alles in Bewegung war, einen festen Punkt geben konnte.

Faithwell, Ohio
    20. des 1. Monats 1851
    Liebste Biddy,
    ich war überglücklich, als heute zusammen mit dem »Stern von Bethlehem« und den Quilts von William und meiner Tante auch noch Dein Brief eintraf. Das Paket mit Briefen von Dir, Mutter und Tante Rachel hat aus diesem Tag einen Festtag gemacht. So viele Briefe auf einmal! Mit so vielen Neuigkeiten und so viel Wärme in ihnen! Es war eine wunderbare Unterbrechung dieser langweiligen Wintertage.
    Als ich die Quilts auspackte und auf

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