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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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kleiner Sieg, mit der Folge, dass ich jetzt viel lieber an dem Quilt arbeite. Beim nächsten Quilt kann ich Dorcas vielleicht zu einem echten englischen Patchwork überreden, auch wenn ich dafür viel länger brauche.
    Manchmal frage ich mich, warum ich die Quilts nicht einfach für mich selbst mache und Dorcas ihre alten wiedergebe, wenn meine fertig sind. Benutzt haben wir sie ohnehin noch nicht. Im Moment schlafen Jack und ich unter meinem Signaturquilt und dem weißen Wholecloth, den die Frauen in der Woche vor meiner Hochzeit für uns gemacht haben. Doch wahrscheinlich wären weder Judith noch Dorcas von dem Tausch begeistert, deshalb habe ich ihn erst gar nicht vorgeschlagen. Die Qualität meiner Quilts ist besser, weshalb Dorcas sie natürlich vorzieht, solange sie die von ihr bevorzugten Muster bekommt. Auf das Quilten freue ich mich, denn für diesen Teil der Arbeit interessiert sich Dorcas kaum, sodass ich Muster quilten kann, die mir gefallen. Ich glaube, für den ersten Quilt werde ich eine durchlaufende Federborte nehmen, obwohl sie besonders schwierig ist. Aber immerhin kann man dann hinter den rot-grünen Kränzen und Blumen noch einen Teil sehen, der wirklich meiner Art zu arbeiten entspricht.
    Vermutlich hat Mutter Dich mittlerweile um den »Stern von Bethlehem« gebeten, den ich Dir vor meiner Abreise nach Amerika gegeben habe. Ich schäme mich dafür, ihn zurückfordern zu müssen, aber ich weiß, dass meine liebste Freundin mich verstehen wird. Die Umstände haben dazu geführt, dass ich viel schneller geheiratet habe als erwartet. Was die Quilts angeht, war ich noch lange nicht bereit – und auch sonst nicht. Ich hoffe, dass ich Dir eines Tages einen anderen Quilt machen und auf die lange Reise zu Dir schicken kann.
    Deine treue Freundin,
Honor Haymake r

Polarstern
    Die Tage wurden kälter, und Honor machte sich zunehmend Sorgen um die Flüchtlinge, die draußen schlafen mussten. Von denen, die ihr bislang über den Weg gelaufen waren, hatte kaum einer genügend Kleidung dabeigehabt, erst recht nichts Warmes. Die meisten entflohenen Sklaven kamen in der Nacht am Hof vorbei, holten sich das Essen, das Honor draußen versteckt hatte, und verschwanden wieder. Nur selten verschlug es Flüchtlinge tagsüber in die Gegend, und dann versteckten sie sich meistens im Wielandwald.
    Als der erste Frost kam und sich bald darauf eine dünne Schneedecke über der Landschaft ausbreitete, suchte Honor nach einem warmen Platz, an den sie Flüchtlinge führen konnte, die tagsüber ein Versteck brauchten. Natürlich bot sich der Heuschober an, weil man dort im warmen Stroh schlafen konnte, doch genau deshalb würden die Sklavenjäger den Heuschober auch als Erstes durchsuchen. Außerdem melkten Honor, Judith und Dorcas morgens und abends in der Scheune unterm Heuboden die Kühe, und Jack ging dort ohnehin den ganzen Tag ein und aus. Er mistete die Ställe aus, streute sie mit frischem Stroh ein oder holte Heu vom Boden, um das Vieh zu füttern. Eigentlich herrschte in der Scheune zu viel Betrieb, um dort jemanden zu verstecken, doch Honor fiel kein besserer Ort ein. Im Hühnerhaus würden die Hühner Alarm schlagen, und in den Ställen unterhalb des Heuschobers würde ein versteckter Fremder Schweine, Kühe und Pferde unruhig machen. Der Wagenschuppen wurde zwar nicht so oft betreten, war aber kalt und ungemütlich, während der Holzschuppen sich viel zu nahe beim Wohnhaus befand. Außerdem war der Heuschober für Honor der schönste Platz auf dem Hof, an dem sie sich selbst am wohlsten und sichersten fühlte.
    Der erste Flüchtling, den Honor dort versteckte, war ein etwa zwölfjähriger Junge. Als Honor an einem Ersttag morgens zum Eiereinsammeln ging, entdeckte sie ihn zusammengekauert hinterm Hühnerhaus. Er war so durchgefroren, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Sie reichte ihm einen Maiskuchen, den sie in der Schürzentasche versteckt hatte. Während er aß, überschlugen sich ihre Gedanken. »Warte hier, bis du uns zur Andacht gehen siehst – zur Kirche«, korrigierte sie sich rasch, damit er sie auch sicher verstand. »Dann geh in die Scheune und versteck dich in der hintersten Ecke im Stroh. Wenn jemand hereinkommt, darfst du dich nicht von der Stelle rühren. Ich werde rufen, wenn ich später nach dir suche.« Weil Ersttag war, ein Tag der Ruhe, würde

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