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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Jack die Ställe nicht ausmisten, sondern nur das Vieh füttern. So war die Scheune vorerst einigermaßen sicher.
    An jenem Abend regnete es, ein kalter Niesel, unter den sich später sogar Eis mischte. Honor entschuldigte sich zum Klohäuschen, hängte dort ihre Laterne auf und rannte durchs Dunkel weiter zur Scheune. »Ich bin’s«, rief sie leise. Sie hörte den Jungen näher kommen, sah ihn aber nicht, sondern roch nur seinen Angstschweiß. »Hier, nimm.« In der Dunkelheit hielt sie ihm ein wenig kaltes Rindfleisch und ein paar Kartoffeln hin.
    Als er das Essen entgegennahm, berührten sich ihre Hände. »Danke.«
    Â»Du musst noch heute Nacht weiter nach Oberlin. Es liegt drei Meilen nördlich von hier. Geh hinter die Scheune und von dort immer weiter geradeaus. In Oberlin musst du in die Mill Street und dort nach einer Kerze im Hinterzimmer eines roten Hauses Ausschau halten.« Noch bevor der Junge etwas sagen konnte, war Honor schon wieder draußen, da sie befürchtete, dass man sie im Haus vermissen würde. Als sie das Scheunentor hinter sich zuzog, hörte sie, wie der Junge sich gierig über das Essen hermachte.
    Am nächsten Tag wartete Honor eine günstige Gelegenheit ab. Als Jack Käse auslieferte und die Haymakerfrauen Apfelmus einmachten, stahl sie sich mit einem Eimer voller Apfelschalen für die Schweine in die Scheune. Sie wollte nachsehen, ob der Junge auch keine Spuren hinterlassen hatte, doch zu ihrer Verblüffung fand sie ihn im Stroh schlafend vor. »Warum bist du noch hier?«, rief Honor, worauf der Junge gleich fluchtbereit auf die Füße sprang. »Es ist gefährlich, so lange zu bleiben.«
    Der Junge zuckte mit den Schultern und legte sich wieder ins Stroh. »Zu kalt draußen. So warm hatte ich’s schon lange nicht mehr. Heute Morgen hat jemand die Tiere gefüttert, da hab ich mich ganz still verhalten, damit er mich nicht findet. Haben Sie was zu essen dabei?«
    Statt mit ihm zu schimpfen, gab Honor ihm ein paar Apfelschalen und sagte, sie wolle versuchen, ihm später noch etwas anderes zu bringen. Im Unterschied zu den anderen Flüchtlingen, die ihr begegnet waren, war dieser Junge sehr gesprächig. Während er sich über die Apfelschalen hermachte, erzählte er Honor von seiner Flucht aus Virginia. Honor erfuhr, dass er eigentlich mit einem älteren Mann unterwegs war, von dem er aber im Osten Ohios getrennt wurde, als man sie durch einen dichten Wald verfolgte. Was mit seinem Gefährten geschehen war, wusste der Junge nicht.
    Â»Ich will nicht nur bis Pennsylvania oder New York, sondern noch viel weiter nach Norden«, erklärte er mit der Selbstgewissheit eines Zwölfjährigen. »Yankeeland ist mir noch zu gefährlich. Kanada ist sicherer. Bis jetzt hab ich unterwegs fast immer Hilfe bekommen, vor allem von den Quäkern. Sind Sie auch ’ne Quäkerin?«
    Honor nickte. »Du hast es fast geschafft«, sagte sie. »Es sind nur noch ein paar Tage, bis du an den großen See kommst. Dort wird dir jemand helfen, ein Boot nach Kanada zu finden.«
    Â»Jep.« Der Junge wirkte recht gleichgültig. Wahrscheinlich hatte er sich schon so ans Unterwegssein gewöhnt, dass er das Ziel aus dem Auge verloren hatte.
    Bevor sie die Scheune wieder verließ, deckte Honor den Jungen zu, damit er wie ein echter Strohhaufen aussah. Solange er still liegen blieb, war er so gut verborgen. Doch der Junge war noch zu sehr Kind, um sich längere Zeit nicht zu bewegen: Er zuckte mit den Füßen, zappelte mit den Beinen, wälzte sich von einer Seite auf die andere und grub sich tiefer ins Stroh. Honor hoffte, dass die Angst den Jungen lähmen würde, falls Donovan oder ein anderer Sklavenjäger in die Scheune käme.
    Doch Donovan kam nicht, und in der Nacht verschwand der Junge. Honor betete, dass er es bis Kanada schaffen würde.
    Wenige Wochen später versteckte sie den nächsten Flüchtling. Als sie eines Morgens zum Melken in die Scheune ging, hatte Honor das mittlerweile fast schon vertraute Gefühl, dass sich jemand im Wielandwald aufhielt, auch wenn sie sich bemühte, nicht in die Richtung zu blicken. Die Pfützen und Wagen furchen waren an diesem Morgen zugefroren; die Nacht musste draußen sehr unangenehm gewesen sein. Als sie später am Tag zum Eiereinsammeln ging, spürte sie die Präsenz noch immer. Honor wurde unruhig, konnte

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