Die englische Rose
einfach war, wie sie geglaubt hatte. Als Anfängerin musste sie noch viel lernen, doch Ngaire war sehr geduldig mit ihr und ging die einzelnen Szenen so oft wie nötig mit ihr durch. Es waren nicht viele, da Lucinda früh starb –, aber sie waren entscheidend für die Geschichte. Es waren überraschend wenige Einstellungen erforderlich, manchmal nur vier oder fünf, denn Francesca legte großen Wert darauf, immer gut vorbereitet zu erscheinen – so gut wie Fee, die aus dem Staunen nicht mehr herauskam.
Ngaire schien von ihnen beiden begeistert zu sein. Sie, Francesca, durfte sogar ihre eigenen Vorstellungen in die Rolle mit einbringen und stellte erfreut fest, wie nett und unkompliziert die Regisseurin war. Sie verlor nie die Geduld, wenn mal etwas schiefging.
Die Scheinwerfer erzeugten eine unerträgliche Hitze, und überall lagen Kabel. Das Make-up war schrecklich. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie fertig geschminkt und später wieder abgeschminkt war. Und die Kostüme waren alles andere als luftig. Trotzdem machte es Francesca großen Spaß. Der Trick bestand darin, Francesca de Lyle völlig zu vergessen. Sie war Lucinda, die ihren Mann verzweifelt liebte und ständig in dem Bewusstsein lebte, dass sie ihn an Kräfte verlor, über die sie keine Kontrolle hatte. Als sie eine besonders ergreifende Szene abgedreht hatte, bemerkte sie verblüfft, wie ihrer Mutter und Ngaire die Tränen über die Wangen liefen.
“O Schatz, du könntest dir einen Namen machen!”, rief Fee gerührt und kam auf sie zu, um sie in die Arme zu nehmen. “Du hast doch sehr viel von deiner Mutter geerbt.”
Wenn sie sich abends die abgedrehten Szenen ansahen, konnte Francesca nicht glauben, dass sie es war, die sie auf dem Bildschirm sah. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, denn so hatte sie sich noch nie gesehen. Obwohl sie bereits wusste, dass sie überdurchschnittlich hübsch war, stellte sie fest, dass die junge Frau im Film ungewöhnlich bezaubernd und die Sprache ihrer Augen und Hände sehr ausdrucksvoll war. Dass sie ihre Sache so gut machte, heiterte sie ungemein auf und stärkte ihr Selbstbewusstsein.
“Und das ohne jegliche Erfahrung!”, rief Fee, die sich noch immer nicht an diese neue Seite an ihrer Tochter gewöhnt hatte. “Aber das zeigt die Macht der Gene. Ally wird aus dem Staunen nicht herauskommen, wenn sie das sieht.”
Aber Ally hat immer gewusst, dass ich schauspielern kann, dachte Francesca. Ihre Mutter hingegen betrachtete sie viel mehr als eine de Lyle als eine Kinross.
Glenn wich ihr kaum von der Seite, half ihr, wenn sie Hilfe brauchte, erklärte ihr vieles, gab ihr Anweisungen und bewunderte sie. Er war maßgeblich an dem Film beteiligt, und Ngaire legte großen Wert auf seine Meinung. In der Mittagspause steckten die beiden die Köpfe zusammen und sprachen über den Film. Abends machte Glenn nach dem Essen einen Spaziergang mit ihr, Francesca. Sie wusste nicht, wie es passiert war. Ermutigt hatte sie ihn jedenfalls nicht, doch sie fand ihn attraktiv, unkompliziert und trotzdem alles andere als oberflächlich. Außerdem hatten sie das Interesse am Film gemeinsam.
“Und, wann kommt Grant nach Hause?”, fragte Glenn am dritten Abend.
Francesca schüttelte den Kopf. “Ich weiß es nicht.” Sie sehnte sich verzweifelt nach Grant.
“Wirklich nicht? Ich dachte, Sie beiden stehen sich sehr nahe.” Glenn betrachtete sie starr. Er fühlte sich stark zu ihr hingezogen, wusste aber nicht, was er tun sollte. Natürlich hatte er gemerkt, dass Cameron und Francesca etwas miteinander verband, obwohl es nicht greifbar war.
Francesca erschrak über die Frage. Waren Grant und sie so leicht zu durchschauen? “Sie haben uns doch kaum zusammen gesehen”, erwiderte sie.
Glenn lachte auf. “Vergessen Sie nicht, dass ich Autor bin, Francesca. Ich nehme meine Umwelt sehr bewusst wahr.”
“Und was haben Sie wahrgenommen?”, erkundigte sie sich betont lässig.
“Ich würde sagen, Sie beide verbindet etwas ganz Besonderes.”
Sie blieb stehen, um einen winzigen Stein aus ihrer Sandalette zu schütteln. “Ich habe keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen, Glenn.”
“Ich schätze, was ich wirklich wissen möchte, ist, ob Sie schon vergeben sind”, meinte er trocken.
Francesca spürte, wie sie errötete. Sie war froh, dass er es nicht sehen konnte. “Ein Autor kommt wohl auch sonst immer schnell zur Sache.”
“Es passiert nicht jeden Tag, dass ich einer Frau wie Ihnen begegne, Francesca. Und es ist
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