Die Entdeckung der Currywurst
Kopf hing zur Seite, als wolle er sich irgendwo anlehnen, an eine Schulter oder Brust. Er mußte sich den großen Weltkrieg-I-Stahlhelm aufgesetzt haben, denn der war ihm vom Kopf gefallen und lag jetzt unter ihm wie ein Pißpott.
Sie schloß oben die Wohnungstür auf, überlegte sich, ob sie jetzt nicht sagen sollte, der Krieg ist vorbei, jedenfalls für Hamburg, im Treppenhaus hängt Blockwart Lammers an einem Seil, da fragte Bremer: Sind die Engländer da? Ja, sagte sie, ich hab sie gesehen, sie sitzen auf der Michaelisbrücke, zusammen mit deutschen Soldaten. Sie sonnen sich.
Siehst du, sagte er, ich wußte es, es geht los, gegen Rußland.
Ja, sagte sie, vielleicht. Die Zeitung? Zeitungen gibt es noch nicht, Neuigkeiten werden über Lautsprecher und durch Rundfunk bekanntgegeben. Die Regierung Dönitz hat aufgerufen, Disziplin zu wahren, niemand darf seinen Posten verlassen. Er nahm sie in die Arme. Die Geschäfte sollen wieder öffnen. Die Behörden arbeiten. Morgen geh ich zur Arbeit. Sie küßte ihn.
Und ich, sagte er, was soll ich tun?
Warten, erst mal.
5
Es war der vierte Nachmittag, da wünschte Frau Brücker hinauszugehen.
Es regnet und stürmt, sagte ich.
Eben darum. Ich mag gern im Regen rumlaufen, und Hugo mag ich nicht fragen, der hat genug am Hals. Der Junge muß ja nicht noch naß werden. Weißte, was ein Stamm der Südsee-Insulaner mit seinen Alten macht? Die biegen eine Palme runter, die Alte muß sich dran festhalten, dann wird das Tau gekappt, und hui, ab gehts. Wenn die Alte noch so viel Kraft hat, sich festzuklammern, is es gut, kann sie wieder von der Palme steigen, wenn sie sich aber nicht festhalten kann, dann gehts ab in den Himmel. Hübsch, nich.
Ich fragte sie, wohin ich sie fahren solle.
Zum Dammtorbahnhof, wenns geht. Dort habe sie nämlich mal als Kind gestanden, mit der Schulklasse, und den Kaiser begrüßt, der, wenn er nach Hamburg kam, immer am Dammtor ausstieg. Heil dir im Siegerkranz, hat die Klasse gesungen, aber sie in derselben Melodie: Bratkartoffeln mit Heringsschwanz. Ihr Vater war Sozi und in der Gewerkschaft gewesen, ein Mann mit einer gewaltigen Glatze.
Sie ließ sich von mir den Regenmantel aus dem Schrank geben, einen dunkelgrünen gummierten Kleppermantel, gut fünfzig Jahre alt. Über den braunen Topfhut zog sie einen Hutschoner, eine Plastikhülle, die vorn mit zwei Bändern zugeknotet wurde. Sie tat das alles mit ruhigen, tastenden Bewegungen. So, sagte sie, jetzt kanns losgehn. Vor dem Bahnhof hielt ich, half ihr aus dem Wagen, sagte, sie müsse einen Moment warten. Ich fand erst nach einiger Zeit und dann auch noch recht weit entfernt eine Parkmöglichkeit. Ich rannte zum Bahnhof zurück, dachte, sie sei womöglich ungeduldig geworden, losgegangen und habe sich im Bahnhofsgewühl verirrt. Ich hatte einen Menschenauflauf vor Augen und in dessen Mitte wie ein verirrtes Kind Frau Brücker. Sie stand aber in ihrem flaschengrünen Regenmantel, wo ich sie abgesetzt hatte, hielt sich am Straßengitter wie an einer Schiffsreeling fest und streckte das Gesicht, als hielte sie Ausschau, den Regenböen entgegen. Sie wollte unbedingt unter der Eisenbahnbrücke durchgehen, dort waren früher die Rückfenster der Bahnhofsküche, und danach sollte ich sie an der Villa in der Dammtorstraße vorbeiführen, in der früher eine Polizeiwache war, schließlich wollte sie noch zu dem Kriegerdenkmal des 76. Regiments. Ein großer Sandsteinblock, um den in Lebensgröße eine Kompanie Soldaten marschiert: Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen.
Das veddelt einen doch, sagte sie.
Ich beschrieb ihr den Zustand des Denkmals, das von Pazifisten mit roten und schwarzen Farbeiern beworfen worden war. Einigen Soldaten war das Gesicht weggemeißelt worden. Ein Protest.
Versteh schon, sagte sie. Aber zwei Soldaten haben ne Pfeife im Mund. Die hab ich immer meinen Kindern gezeigt. Die andern sehen alle gleich aus. Ich ging mit ihr um das Denkmal und suchte die Soldaten mit der Pfeife. Ihre Gesichter waren unverletzt.
Gut so, sagte sie.
Sie wollte wieder zurück. Langsam gingen wir, sie hielt sich an meinem Arm fest, ohne zu reden, zum Haupteingang des Bahnhofs. Ich denke, sie wollte den Regen im Gesicht spüren, wollte von nahem die Geräusche der Stadt hören: unter der Brücke das Dröhnen der Eisenbahnräder, das Anfahren der Autos, Gesprächsfetzen, eilige Schritte, Lautsprecheransagen vom Bahnhof. Ich vermute, sie wollte an einer Stelle vorbeigehen, die
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