Die Entdeckung der Currywurst
ein Lump. Ja, sagte sie, denkst, ich bin ungerecht, nee, er war n Lump, aber n Lump, der wunderbar aufm Kamm blasen konnte.
So hat sie es mir erzählt, so wird sie es auch dem fahnenflüchtigen Bremer erzählt haben, der neben ihr, in der Küche, auf den Matratzen lag, wohl kaum mit diesem dialektalen Anklang, der sich erst später, im Alter verstärken sollte, was ich übrigens auch bei meiner Mutter beobachten konnte, die, je älter sie wurde, desto stärker hamburgerte. Und Bremer? Bremer lag da und hörte zu. Er war 24, und er hatte, einmal abgesehen von ein paar Kriegserlebnissen, die sie nicht hören wollte, nicht viel zu erzählen. Aber so neben ihm liegen, war einfach schön. Körper an Körper. Auch so kann man miteinander reden, ohne ein Wort zu sagen. Mein Körper war stumm und taub. Fast sechs Jahre lang, mit der einen Ausnahme Silvester 43. Auch das hat sie Bremer erzählt. Für mich wars schön, zu reden, über die Zeit davor. Er hörte zu. Er hatte ja verschwiegen, daß er ne Frau hatte. Und ein kleines Kind. Vielleicht könnt er auch darum nix sagen. Ich hätt ihn auf jeden Fall mit rauf genommen und versteckt. Das hatte nix mit der Sympathie zu tun. Hätte jedem geholfen, der nicht mehr mitmachen wollte. Einfach versteckt. Is ja das Kleine, was die Großen stolpern läßt. Nur müssen wir viele sein, damit die auch fallen. Deine Großmutter, die war mutig. Die hat mal eingegriffen. Kennste die Geschichte mit m Knüppel? Nein, log ich, um sie noch mal aus dem Mund von Frau Brücker zu hören. Eine Geschichte, die ich als Kind von meiner Tante mehrmals gehört hatte und die sich im Sommer 43 zugetragen hatte. Die Großmutter, eine kräftige, grauhaarige Frau mit einem korsettgepanzerten Bauch, Tochter eines Bäckers aus Rostock, Trägerin des Mutterkreuzes, hatte sich nie für Politik interessiert. Sie war damit beschäftigt, fünf Kinder großzuziehen. Aber später demonstrierte sie gegen die Wiederbewaffnung. Sie wohnte im Alten Steinweg und war dort, weil sie eine so resolute Frau war, Luftschutzwart geworden. Nach dem ersten großen Angriff auf Hamburg, Juli 43, hatte sie zwei Kinder aus dem Feuer gerettet, ihre Haare waren versengt und ihre Wimpern nur noch kleine gelbbraune Klümpchen. Russische Kriegsgefangene schaufelten im Alten Steinweg den Schutt von der Straße, verhungerte Gestalten, die Köpfe rasiert. Sie wurden von lettischen SS-Soldaten mit Gummiknüppeln zur Arbeit angetrieben. Da ging die Großmutter, den Stahlhelm wie einen Einkaufskorb am Arm hängend, auf einen prügelnden lettischen SS-Mann zu und nahm dem Verdutzten den Knüppel aus der Hand. Viele waren Zeuge. Jetzt reichts, hatte sie gesagt. Sie war dann einfach weitergegangen, und niemand wagte sie anzufassen. Man muß nein sagen können, sagte Frau Brücker: wie der Hugo. Der ist mutig. Wickelt die Alten auf der Pflegestation. Hab viel falsch gemacht. Und oft weggesehen. Aber dann hatte ich ne Chance, ganz zum Schluß. Is vielleicht das Beste, was ich gemacht hab, einen verstecken, damit er nicht totgeschossen wird und auch andere nicht totschießen kann. Was danach kam, das hatte damit zu tun, daß alles so schnell vergangen ist. Verstehste? Nein, ich verstand nicht, sagte aber ja, damit sie weitererzähle.
Sie lagen in der Küche auf der Matratzeninsel und lauschten. Wie still es war. Einmal war ein Lautsprecherwagen zu hören. Eine Stimme, quäkend und verzerrt, von weitem. Hör mal, sagte er. Verstehst du was? Was der redet? Is das Deutsch? Sie lauschte. Unsinn. Sie begann zu erzählen, wie hier in den ersten Kriegstagen Verdunkelung geübt wurde, da sei auch immer einer mit dem Lautsprecherwagen herumgefahren. Werden die jetzt machen wegen den Russen. Haben auch Flieger. Sind doch so lahme Vögel, hab ich gehört. Still, sagte er, sei doch mal ruhig! Verdammt noch mal, er wurde einen Moment richtig wütend. Sie aber redete weiter, hartnäckig und hektisch laut. Er sprang auf und lief ans Fenster. Vorsichtig, hatte sie ihm zugerufen, mach das Fenster nicht auf. Der Lautsprecher verstummte. Das hörte sich, sagte er, wie Englisch an. Unsinn, das war einer mit so nem Hafendialekt, war der Kreisleiter, kenn den. Heißt Frenssen. Sie hielt die Bettdecke hoch. Aber er mochte sich nicht mehr hinlegen, zog sich seinen Marinestutzer über und ging zum Fenster. Da stand er mit seinen nackten dünnen Beinen und starrte hinunter.
Eine ferne, tiefe Stille. Bomber flogen über die Stadt, hin und wieder. Keine Detonation.
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