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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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ein paniertes Schnitzel. In dem Moment stieß Frau Brücker den Pappteller mit der Currywurst an. Er fiel vom Tisch. Ich sammelte den Pappteller mit dem Matsch aus Curry, Ketchup und den darin pikenden Kippen vom Boden auf und warf alles in den Abfalleimer.
    Lassen Sie doch liegen, sagte der Budenbesitzer, frißt der Hund.

7
     
     
    Am Donnerstag, meinem letzten Tag in Hamburg, brachte ich Frau Brücker einen kleinen Baumkuchen mit. Sie bestand darauf, daß wir ihn gleich anschneiden. Hugo kam, brachte die drei rosa Pillen, bekam eine Scheibe Baumkuchen, musterte das auf dem Tisch liegende Vorderteil des Pullovers, in dem sich der Hügel gerundet, die Spitze der Tanne den Himmel erreicht hatte und eine kleine gelbe Rundung den wachsenden Sonnenball ankündigte. Toll, sagte er. Den Kaffee konnte er nicht mehr austrinken, weil sein Piepser ihn in den unteren Flur rief. Der alte Teltow irrte wieder durch die Gänge.
    Wieviel Maschen bis zur Sonne? Ich zählte dreißig, und sie legte sich den blauen Himmelsfaden über den Finger, ließ den Sonnenfaden hängen und begann zu stricken, erzählte weiter, ohne daß ich sie durch Fragen dahin bringen mußte, wo sie gestern aufgehört hatte: Ihr war klar, mit Weißkohl-Bratwürsten konnte sie nicht ins Geschäft kommen. Holzinger gab ihr den Hinweis auf eine alkoholsüchtige Wurstfabriksbesitzerin in Elmshorn.
    Noch am selben Abend begann Lena Brücker damit, die Uniform von Bremer zu einem Kostüm umzuschneidern. Es war buchstäblich ein Einschnitt, auch in ihrem Leben. Sie trennte die Uniformjacke auf. Und dabei sang sie, was sie sonst nie tat, weil sie fürchterlich falsch sang und nie den richtigen Ton traf. Edith kam und fragte, wer singt denn da? Du kannst ja plötzlich richtig singen. Klar doch. Und sie sang, hielt die Stimme und den Ton: Am Brunnen vor dem Tore. Dann beugte sie sich schon wieder über das Schnittmuster. Gottlob trug die Marine Hosen mit weitem Schlag, und so reichte der Hosenstoff für einen Bahnen-Kostümrock. Die Jacke konnte sie in der Taille durch Abnäher an ihre Figur anpassen, mußte sie aber über dem Busen mit zwei Knöpfen offenlassen. Das nahm ihrem Bild im Spiegel nichts von dem Geschäftlich-Seriösen: ein marineblaues Kostüm mit feuervergoldeten Knöpfen, und die konnte sie, weil sie einen Anker, kein Hakenkreuz zeigten, übernehmen.
    Ende Oktober, an einem Donnerstag, zwängte sich Lena Brücker in einen überfüllten Eilzug nach Elmshorn und fragte sich dort zu der Wurstfabrik Demuth durch. Neben der Fabrik stand die Villa der Besitzerin. Lena Brücker ließ sich anmelden und wurde von einer grauhaarigen Dame, der keine Alkoholexzesse ins Gesicht geschrieben waren, empfangen. Lena Brücker stellte sich als Imbißbuden-Pächterin vor, die pro Werktag 50 echte Kalbsbratwürste haben wolle, echte, nicht mit Schweinefleisch gestreckte, auch nicht mit Sägemehl oder altem Fensterkitt angereicherte. Frau Demuth fragte, ob sie eine Bezugsberechtigung habe. Nein. Aber sie könne für die wöchentlichen 300 Würste eine Flasche Whisky anbieten. Frau Demuth dachte nach. Ob das echter englischer Whisky sei oder nur deutscher Eigenbrand? Lena Brücker sagte tapfer, echter schottischer Whisky. Frau Demuth schluckte und sagte schließlich: Gut. Aber 300 Stück, das sei zuviel. 250 Stück. Das sei das äußerste, was sie bieten könne.
    Lena Brücker überlegte.  Kalbsbratwürstchen waren ein Luxusartikel ersten Ranges, etwas ganz und gar Ausgefallenes. Man würde sich darum reißen. Wenn sie die Bratwurst für zwei Zigaretten plus fünf Reichsmark abgeben würde, wären das 500 echte Amis, und gegen 300 war schon ein gut gepanschter Whisky in schottischen Originalflaschen zu bekommen. Blieb pro Woche ein Gewinn von 200 Amis plus 1250 Reichsmark.
    Sie fuhr in einem überfüllten Zug zurück. Sie stand draußen, auf dem Trittbrett, an die Griffe geklammert. Es war ein milder Herbsttag, dennoch, der Fahrtwind, der in ihrem Haar wühlte, ließ ihre Hände erst kalt, dann eisig, schließlich fühllos werden. Gottlob war der Marinestoff noch gute Vorkriegsware, Schurwolle. Sie bereute es jetzt aber, keinen Mantel angezogen zu haben. Der war ihr so schlabberig, ja geschäftsschädigend erschienen. Und sie ärgerte sich, die Hosen in einen Rock umgeschneidert zu haben, denn der Fahrtwind fuhr ihr darunter, und immer, wenn sie unten kalt wurde, mußte sie pinkeln. Das hätte sie schon vor der Abfahrt tun müssen, hatte sich dann aber doch den Platz auf dem

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