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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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schweren Schritt, ein Mann wie ein Kleiderschrank, ein Mann, der Fünfmarkstücke verbiegen konnte.
    Ruhe, oder es knallt, verdamminochmol!
    Vor der Tür wurde es ruhig. Sie hörte das Knarren der Stufen. Baggerführer Claussen stieg hinunter, und dann ihr Mann. Er ging in Hemd und Hose, an den Füßen die Schlappen. Sie stand hinter der Gardine am Küchenfenster und starrte hinunter in die Brüderstraße, dieses kleine Stück, das von oben zu überschauen war, das Stück gepflasterter Fahrbahn, die Bürgersteige. Sie sah ihn, wie er unten vorbeiging, ohne hochzublicken, schlurfte er weg, in seinen Schlappen, und kam nie wieder.
    Von da an hatte sie ihre Ruhe, allerdings auch zwei Kinder zu versorgen. Denn Edith, ihre Tochter, hatte noch keine Arbeit. Und dann war da noch der kleine Heinz. Der Vater von Heinz, Ediths Freund, ein Pionierleutnant, blieb vermißt, nicht in Rußland, sondern in Brandenburg. Verrückt, nicht?
    Ich mußte sie von Edith und dem vermißten Pionierleutnant ab- und wieder hinbringen zur Currywurst. Ich sagte, draußen geht ein leichter Westwind, strichweise mit Regen. Wollen wir zum Großneumarkt fahren? Wir könnten eine Currywurst essen?
    Das is dann wieder so ne Hetze.
    Nein, sagte ich, da kann man parken, das ist kein Problem.
    Und dann diese labberige Currywurst. Nee auch.
    Sie wollte dann doch. Ich denke, aus dem einfachen Wunsch, noch einmal über den Platz zu gehen, auf dem sie dreißig Jahre ihren Stand hatte, jeden Morgen hin, abends zurück. Nur sonntags geschlossen. Dreißig Jahre keinen Urlaub, keinen Tag gefehlt. Auch im Schneetreiben Würste gebraten, Bier verkauft, Gurken auf den Pappteller gelegt. Sie wollte die Geräusche hören, die Elbe riechen, ja, man kann dort die Elbe riechen, bei Westwind: Brackwasser, Öl, Kloake, Mennige und dazu das metallische Dröhnen von den Werften, Niethämmer, die Schiffssirenen.
    Sie hatte sich wieder ihren grünen Klepper-Regenmantel angezogen und die Plastikhaube über den braunen Topfhut gezogen.
    Ich fuhr sie an dem Haus vorbei, in dem sie mehr als vierzig Jahre gewohnt hatte, die Haustür, die aufging und hinter dem hausschuhschlappigen Mann zufiel, oben das Fenster, an dem der eingeschlossene Bremer gestanden, wo er hinuntergeschaut hatte.
    Alles sauber und frisch gestrichen, beschrieb ich ihr den Alten Steinweg, weiß die Gesimse und die Fenster, in einem hellgrauen Ton die Fassaden. Gegenüber ist jetzt ein spanisches Eßlokal. Spanisch? Ja, sagte ich. An der Ecke ist ein Geschäft für Büromöbeldesign. Wir bogen in die Wexstraße. Der Zigarettenladen von Herrn Zwerg ist noch da. Herr Zwerg steht hinter dem Ausbauer und putzt sein Glasauge. Soll ich anhalten?
    Ach nee, sagte sie, lot mol.
    Brüderstraße, Wexstraße, da war der Schwarzmarkt. Von dort kamen sie dann rüber zum Großneumarkt, an ihren Stand, Großschieber wie Kleinanbieter, um sich zu stärken, eine Limo, einen Eichelkaffee, eine Bratwurst, oder aber eine Currywurst.
    Die Currywurst, fragte ich vorsichtig, schon damals?
    Ja doch, die war sehr gefragt. Das Geschäft ging gut, so gut wie nie mehr später, sagte sie, das heißt 68 war auch gut. Kamen die Studenten. Danach aber gings bergab, kam McDonald's mit seinen Pappbrötchen und dann die Dönerläden. Aber 47, das war ne Zeit. Wurde nich mit Geld bezahlt, sondern getauscht: Eine Currywurst und eine Tasse echte Bohne, das warn, je nach Tageskurs, drei oder vier Amis. Natürlich könnt man auch auf Pump essen. Stammkunden. Wurde dann am Wochenende abgerechnet, in Zucker, Schokolade, Schmalz. Kompliziert. Klar, aber das machte gerade Spaß, man mußte ne Nase dafür haben. Sie hob den Kopf, sah mit ihren milchig blauen Augen in meine Richtung und faßte sich an ihre Nase. Es war eben nicht alles festgelegt durch Geld, man mußte wissen, was gebraucht wurde, was knapp war. An ihrer Bude wurden bei Kaffee und Currywurst auch größere Geschäfte gemacht. Ihre Bude war ein Treffpunkt, eine Art Börse unter freiem Himmel. Zum Beispiel 18 Platten Tabak aus Virginia wurden gegen 22 Kisten Bücklinge, einen Demijohn reinen Alkohol, vier stark abgefahrene Autoreifen oder zwanzig Kilo gesalzene dänische Butter getauscht. Die Kunst bestand darin, die Werte, also Angebot und Nachfrage, so verschiedener Dinge wie gesalzene dänische Butter, Bücklinge und Plattentabak richtig einzuschätzen. Und diese Werte veränderten sich ja schon während der Schätzung. Die Währung war die Zigarette, nicht irgendeine, sondern die

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