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Die Entdeckung der Currywurst

Die Entdeckung der Currywurst

Titel: Die Entdeckung der Currywurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Trittbrett gesichert. Sie fuhr und konnte nicht mehr an Tausch, Würstchen und Whisky denken, sondern war allein darauf konzentriert, nicht loszupinkeln, was für Frauen mit ihrem kurzen Harnleiter weit schwieriger ist als für Männer. Die Telegrafendrähte schwangen vorbei. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie die Masten zählte, 327, 328, 329. Neben ihr stand ein Mann in einem Ledermantel der Luftwaffe, einen Rucksack auf dem Rücken, der kam, wie er erzählte, von einer Hamstertour, hatte Familiensilber gegen Butter und Speck beim Bauern getauscht. Muß man erleben, wie die sich inzwischen auskennen, gucken das Besteck an, sagen dänisches Silber, Jugendstil. Tatsache. Kennen Sie den? Ein Hamsterer kommt zu einer Bäuerin, zeigt einen Picasso. Sagt die: Nein danke, wir sammeln nur Braque.
    Da lachte Lena Brücker los, lachte, nicht über den Witz, weil ihr Braque nichts sagte, nein, sie lachte erleichtert, und immer lauter, weil sie endlich, endlich einfach losgepinkelt hatte, warm lief es ihr an den Beinen herunter.
    Sie blickte hinunter und sah, daß der Fahrtwind auch das Hosenbein des Mannes besprüht hatte. Der Mann fragte mißtrauisch, warum sie denn so hemmungslos lache.
    Ich mach mich naß, brachte sie endlich heraus.
    Haben Sie so einen guten Tausch gemacht?
    Ja. Ich mach mich selbständig.
    Sie hielt das Gesicht in den Fahrtwind. Die Sonne schien wie hinter Milchglas. Auf der Weide stieg ein Pferd und galoppierte ein Stück von dem Zug weg. In dem Augenblick fiel Lena Brücker ein, was sie noch zum Tausch anbieten konnte: das silberne Reiterabzeichen von Bremer.
    Am gleichen Abend besuchte Lena Brücker ihre Freundin Helga, die sie noch aus der Lebensmittelbehörde kannte. Helga besaß ein wertvolles Vermögen: Sie sprach Englisch perfekt. Sie lernte denn auch, kaum war das Fraternisierungsverbot aufgehoben, einen englischen Major kennen. Dieser Major sammelte deutsche Orden und Ehrenzeichen. Ein Sammler von einem Format, wie sie nur die Engländer hervorbringen. Mit einem Sinn für das Ungewöhnliche. Nicht wie die texanischen GIs, denen man gleich drei Mützen von Göring in unterschiedlicher Kopfgröße andrehen konnte. Der Major hatte schon eine beachtliche Sammlung zusammengetragen: Eiserne Kreuze erster und zweiter Klasse, Verwundetenabzeichen, schwarze, silberne und goldene, Nahkampfspangen aller Stufen, das Deutsche Kreuz in Gold (mit Kugeldurchschuß), das Narvikschild, Abzeichen der U-Boot-Fahrer, Klein-U-Boot-Fahrer, Kampfschwimmer, aber auch so ausgefallene Orden wie die Schwerter zum Eichenlaub des Ritterkreuzes – die Brillanten fehlten ihm noch –, und nun hörte er von dem silbernen Reiterabzeichen. Er kam extra in die Brüderstraße, stieg die drei Treppen hoch und hielt das Abzeichen in den Fingern, eben dieses Reiterabzeichen, das der Bootsmann Bremer mit seiner blauen Marineuniform zurückgelassen hatte, dieses so unkriegerische Abzeichen, auf dem ein Mann das Pferd zu einer Levade aufrichtet. Echten Whisky, da lachte er nur. Den suche er selbst. Aber Holz könne er anbieten. Er war von der britischen Militärbehörde eingesetzt worden, über die Lauenburgischen Forste zu wachen. Die wurden abgeholzt und – zu Brettern zersägt – als Reparationsgut nach England verschifft. Lena Brücker ließ den Major durch ihre Freundin fragen, was er für das silberne Reiterabzeichen bieten könne. Ein Andenken. Helga redete, und der Major steckte sich sein Exerzierstöckchen unter den linken Arm, streifte seinen rechten, wunderbar weichen, braunen Lederhandschuh von der Hand, nahm das silberne Reiterabzeichen, das Lena Brücker blitzblank poliert hatte, in die Hand. Dann sagte er: Well, und etwas auf englisch, was die Freundin mit 24 Festmeter Holz übersetzte, was sehr viel sei, wie die Freundin weiter übersetzte. Wieder sagte er etwas, und ihre Freundin übersetzte: zu Brettern oder Vierkanthölzern zersägt. Und da sagte Lena Brücker: O. K.
    Zu Hause las sie im Lexikon (Volksausgabe): 1 Festmeter Holz ist gleich 1 Kubikmeter, also ein Kubus von einem Meter Kantenlänge. Das wäre also, bekäme sie das Holz geliefert, eine Fläche von 6 mal 4 Meter, oder 3 mal 4 Meter, dann aber schon zwei Meter hoch. Sie erschrak. Gleich so viel. Für so n Abzeichen. Aber Wald und Holz gehörten ja nicht dem englischen Major. Wo sollte sie mit dem Holz bleiben? Sie mußte es also, noch bevor es geliefert wurde, schon weitergetauscht haben. Sie wollte ja keinen Holzhandel aufziehen, sondern die

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