Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft
weitergegeben. Im Verlauf der Evolution bildeten sich immer wieder neue Lebewesen heraus, die auf neue Weise organische Substanz als Nahrung nutzten. Die Biodiversität nahm auch aus diesem Grund zu, und die Nahrungsnetze wurden immer komplizierter.
Die vielfach miteinander verwobenen ökosystemaren Prozesse stellt man in Fluss- und Kreislaufdiagrammen dar, die grundlegend für die Ökologie und vor allem die Landschaftsökologie sind
(Abb. 5–1)
. [51] In solchen Diagrammen wird betont, dass sich alle Stoffe eines Ökosystems in einem ewigen Kreislauf befinden, dessen Wege in kürzerer oder längerer Zeit geschlossen werden können. Alle lebende Natur scheint in einen ewigen Kreislauf einbezogen zu sein. Doch dies ist eine Illusion, die von solchen Grafiken hervorgerufen wird. Nicht berücksichtigt ist nämlich, dass ein Teil der in den Ökosystemen gebildeten Substanzen anschließendfür den Ablauf des Kreislaufes nicht mehr zur Verfügung steht. Dieses Quantum an Substanz mag klein sein; es ist aber entscheidend für die Entwicklung von Ökosystemen und Landschaften sowie für die dauerhafte Existenz von Leben an der Erdoberfläche: Aller Sauerstoff in der Atmosphäre könnte verbraucht werden, wenn sämtliche Kohlenstoffspeicher auf der Erde geleert und alle Kohlenstoffverbindungen abgebaut werden würden.
Abb. 5-1 Kreisläufe von Stoffen und Energie in einem Ökosystem (nach Ellenberg 1973).
Durch die mit dem Leben zusammenhängenden ökosystemaren Prozesse beschleunigte sich die Dynamik natürlicher Prozesse auf der Erdoberfläche: Pflanzen entzogen dem Boden Mineralstoffe, tote organische Substanz wurde abgelagert, dadurch veränderten sich Standorte, die Vielfalt der Lebewesen wurde größer. Es entwickelten sich unterschiedliche Böden: Einige verarmten an Mineralstoffen, in anderen wurden sie akkumuliert. Pflanzenwurzeln drangen in Klüfte des Gesteins vor, Tiere erweiterten Wurzelbahnen zu Gängen: Das Gestein brach schneller ab. Gemische aus toter organischer Substanz und Mineralstoffen wurden abgelagert, in den Böden, in Mooren, an der Küste, an Seeufern. Als Folge der Ablagerung von Material kam es zu einer Sukzession von Lebensgemeinschaften, beispielsweise am Ufer eines eutrophen, also gut mit Mineralstoffen versorgten Sees.
Als Sukzession bezeichnet man eine Abfolge von Lebensgemeinschaften in Abhängigkeit von sich verändernden Standortbedingungen: Wenn Wasser an einem Ort durch Ablagerungen flacher wird, gewinnen nacheinander Unterwasserpflanzen, Schwimmblattgewächse (zum Beispiel See- und Teichrose), Röhrichtpflanzen (Schilf, Rohrkolben), Seggen, Weidengebüsch und Erlenbruchwald die Oberhand
(Abb. 5–2)
. In den sich mit der Zeit verändernden Lebensgemeinschaften breiten sich unterschiedliche Tiere aus und verschwinden wieder. Über einem Unterwasserboden wird der Boden eines von Erlen bestandenen Niedermoores abgelagert. Eine solche Sukzession, bei der sich Boden, Pflanzen- und Tierwelt zugleich verändern, nennt man Primärsukzession.
Im Verlauf der Standortveränderungen etablierten sich immer wieder neue Pflanzen- und Tierarten. Bestimmte Individuen besiedelten den sich verändernden Standort am erfolgreichsten; sie setzten sich im Verlauf der Evolution am besten durch. Weil Sukzessionen und Besiedlungsprozesse durch Pflanzen und Tiere wieder und wieder abliefen, wurden sie zu entscheidenden Entwicklungen, in deren Verlauf sich Leben auf der Erde immer weiter veränderte. Dabei wird deutlich, dass die Sukzession von Lebewesen an einem Standort und die Evolution zwei miteinander verbundene Prozesse sind, die beständig zur Veränderung des Lebensallgemein und von einzelnen Ökosystemen im Speziellen führen.
Abb. 5-2 Die Zonierung der Vegetation am Rand eines Sees entspricht der dort auftretenden Sukzession. Mit der Verlandung verlagern sich die Vegetationsgürtel zur Seemitte hin.
Auch die Vielfalt an Standorten, an denen sich Leben etablieren konnte, nahm mit der Zeit zu. Zunächst gab es Leben nur in den Meeren, dann auch an deren Ufern, in Gewässern mit unterschiedlichem Salzgehalt, dicht oberhalb des Grundwasserspiegels. Leben entwickelte sich später auch an Standorten, an denen weniger Wasser verfügbar war, an denen einzelne Mineralstoffe im Überschuss vorhanden waren oder wo es an einzelnen wichtigen Mineralstoffen mangelte. Sehr lichtarme Standorte wurden besiedelt, sogar Höhlen, die Höhen der Berge, heiße Quellen, die Umgebung von Vulkanen. Je größer die
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