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Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft

Titel: Die Entdeckung der Landschaft - Einführung in eine neue Wissenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Metaphernbildung und Kausalanalyse
    Eine deskriptive Einteilung in zonale, extrazonale und azonale Ökosysteme ist ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis von Landschaften. Wir brauchen sie, um bestehende Landschaften, die als Ökosysteme verstanden werden, allgemeingültig zu erfassen – nicht zuletzt für didaktische Zwecke. Es genügt aber nicht, wenn man sich bei der kausalen Analyse auf aktuelle Standortfaktoren beschränkt. Geht man allein davon aus, läuft man Gefahr, die Standortsvielfalt mit Metaphern zu umschreiben, die der Realität nicht entsprechen.
    Die Feststellung, dass ein Ökosystem zonal, extrazonal oder azonal ist, hat nichts mit dessen Wert oder dessen Alter zu tun. Weder entsprechen bestimmte azonale Ökosysteme deswegen, weil sie schlecht nutzbar sind, am ehesten der Natur, noch sind zonale Ökosysteme am ehesten schützenswert, weil sie angeblich ein besonders hohes Alter aufweisen. Beide Argumente werden vorgebracht, um den Status von Naturschutzgebieten oder sogar von Nationalparks zu begründen. Extrazonale Ökosysteme dürfen nicht in jedem Fall ungeprüft als Vorposten zonaler Gebiete aufgefasst werden. Vielmehr können heute für extrazonal gehaltene Ökosysteme diejenigen sein, aus denen bestimmte Arten vonPflanzen und Tieren ursprünglich stammen, die später in den zonalen Ökosystemen anderer Weltgegenden häufig wurden. Extrazonale Buchenwälder der Gebirge am Mittelmeer weisen beispielsweise ein höheres Alter auf als die zonal ausgebildeten in Mitteleuropa. Das bedeutet, dass die Buchenwälder im Mittelmeerraum keine Vorposten mitteleuropäischer Buchenwälder sind, sondern andersherum die unter heutigen Bedingungen zonalen Buchenwälder Mitteleuropas ihrer Genese nach als Vorposten von extrazonalen Buchenwäldern der Gebirge im Mittelmeergebiet aufzufassen sind.
    Standortfaktoren und Ökosysteme wandeln sich von Natur aus, weil es stets zu ökosystemaren Entwicklungen kommt, zu denen Sedimentation, Sukzession und Evolution gehören. Anstelle eines ökologischen Gleichgewichtes besteht eine Dynamik, die man vielleicht besser als ein «Stabiles Ungleichgewicht» [53] beschreiben sollte. Immer wieder andere Lebewesen können sich durchsetzen. Die Vorstellung von einer starren Potentiellen Natürlichen Vegetation, die sich an bestimmten Ökosystemen aus der heutigen entwickeln soll, wenn jeglicher Eingriff des Menschen sofort eingestellt wird, ist in diesem Zusammenhang nicht hilfreich. Genauso wie sich Vegetation und Ökosysteme in der Vergangenheit immer weiter wandelten, werden sie dies nämlich auch in der Zukunft tun.
    Bezogen auf die Betrachtung von Landschaften kommt es unter Berücksichtigung der Veränderungen in natürlichen Ökosystemen einerseits vor allem darauf an, ihr augenblickliches Erscheinungsbild nicht mit einem augenblicklichen Zustand zu verwechseln. Stets ist auch der Wandel der Ökosysteme zu beachten. Der Wandel eines Ökosystems in der Vergangenheit lässt sich analysieren, nicht aber der künftige Wandel eines Ökosystems. Die Prognose zur Zukunft eines Ökosystems wird dadurch verbessert, dass nicht nur dessen augenblicklicher Zustand, sondern auch dessen auf Fakten beruhender Wandel beachtet wird. Doch auch dann lässt sich die zukünftige Entwicklung von Ökosystemen nicht genau vorhersagen. Sie hängt von Zufällen ab, auch von solchen Ereignissen, die sich nicht prognostizieren lassen, etwaVulkanausbrüchen oder Erdbeben. Ferner kann man nicht im Vorhinein wissen, in welche Richtungen die Evolution der Lebewesen führen wird, die insgesamt ein Ökosystem bilden.
Eine verbesserte Definition des Ökosystems
    Nach allen diesen Ausführungen wird klar, dass die Definition eines Ökosystems verbessert oder erweitert werden sollte. Ein Ökosystem ist demnach das Wirkungsgefüge, in dem sich Lebewesen in Wechselbeziehung zu ihrer unbelebten und belebten Umwelt, auch zu anderen Lebewesen entwickeln; sie können als abgeschlossene Systeme beschrieben werden, sind aber nicht strikt nach außen begrenzt. Damit wird sowohl die Dynamik zum Ausdruck gebracht als auch die in der materiellen Welt nicht vorhandene Abgrenzung des Ökosystems nach außen. Es erhält nur deswegen eine Grenze, damit man es beschreiben kann.
    Zwischen den Begriffen «Ökosystem» und «Landschaft» besteht der eingangs dieses Kapitels erwähnte Unterschied, dass eine Landschaft bewertet werden kann, ein Ökosystem aber nicht. Man kann außerdem herausstellen, dass Landschaften durch

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