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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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Kinderbuch war einfach fortgegangen. Nach
dem Schiffbruch war er zu den Hottentotten gekommen und am Leben geblieben,
weil er eine tickende Uhr hatte. Die Schwarzen hielten sie für ein Zaubertier.
Er hatte einen Löwen gezähmt, der für ihn auf die Jagd ging, Gold gefunden und
ein Schiff nach England erwischt. Reich kam er zurück und half seiner Schwester
Goody bei der Aussteuer, denn sie heiratete gerade.
    Als reicher Mann würde John tagelang die Gesichter der Häuser
studieren und in den Fluß blicken. Abends würde er vor dem Kamin liegen von der
ersten Flamme bis zum letzten Knistern, und alle würden es für ganz selbstverständlich
halten. John Franklin, der König von Spilsby. Die Kühe grasten, die Ziege half
gegen Unglück, Vögel ließen sich nieder, Grabsteine sogen sich voll Sonne,
Wolken tanzten, überall Friede. Hühner waren verboten.
    Â»Tranfunzel«, hörte John sagen. Tom Barker stand vor ihm,
beobachtete ihn durch halbgeschlossene Augen und zeigte die Zähne. »Laß ihn!«
rief der kleine Sherard dem schnellen Tom zu, »der kann doch nicht wütend
werden!« Aber das wollte Tom eben herausfinden. John hielt die Schnur wie zuvor
und sah Tom ratlos ins Auge. Der redete nun mehrere Sätze, so rasch, daß kein
Wort zu verstehen war. »Verstehe nicht«, sagte John. Tom deutete auf Johns Ohr,
und weil er schon so nahe dran war, packte er es und zog am Ohrläppchen. »Was
soll ich?« fragte John. Wieder viele Worte. Dann war Tom weg, John versuchte
sich umzudrehen, obwohl ihn jemand festhielt. »Laß doch die Schnur los!« rief
Sherard. »Ist der blöd!« schrien die anderen. Jetzt traf der schwere Ball gegen
Johns Kniekehlen. Er fiel um wie eine zu steil gestellte Leiter, erst langsam
und dann mit Wucht. Von der Hüfte und vom Ellenbogen her breitete sich Schmerz
aus. Tom stand wieder da, nachsichtig lächelnd. Halblaut sagte er, ohne den
Blick von John abzuwenden, etwas zu den anderen, wieder mit dem Wort »schläft«.
John brachte sich wieder in die Höhe, die Schnur immer noch in der
emporgestreckten Hand, daran wollte er nichts ändern. Vielleicht stellte sich
die vorige Lage wie durch ein Wunder wieder her, und was dann, wenn er die
Schnur hatte sinken lassen. Die Kinder kicherten und lachten, es klang wie
Federvieh. »Hau ihm mal eine rein, dann wacht er auf!« »Der tut nichts, der
glotzt nur.« Dazwischen stand immer irgendwo Tom Barker und sah unter den gesenkten
Wimpern hervor. John mußte seine Augen weit aufreißen, um alles im Blick zu
behalten, denn der andere wechselte ständig den Standort. Behaglich war das
nicht, aber weglaufen wäre feige gewesen, auch konnte er gar nicht rennen, und
außerdem hatte er nicht die geringste Angst. Schlagen konnte er Tom aber nicht.
Blieb also nur übrig, ihm nachzugehen. Ein Mädchen rief: »Wann läßt der endlich
die Schnur los?« Sherard versuchte Tom festzuhalten, aber er war zu klein und
zu schwach. Während John das noch zu sehen meinte, zog ihn jemand von hinten an
den Haaren. Wie war Tom dorthin gekommen, da fehlte schon wieder ein Stück
Zeit. Er drehte sich um, stolperte, und auf einmal lagen sie alle beide am
Boden, denn Tom war mit dem Bein in die Schnur verheddert, und die hielt John
jetzt wieder fest. Tom wandte sich um und stieß John die Faust gegen den Mund,
kam wieder frei und tauchte weg. John fühlte, daß in der oberen Zahnreihe einer
wackelte. Das war der Friede nicht! Er tappte energisch hinter Tom her wie eine
ferngelenkte Puppe. Nutzlos fuhrwerkte er mit den Armen, als wolle er den Feind
nicht schlagen, sondern fortwedeln. Einmal hielt ihm Tom das Gesicht richtig
hin mit höhnischer Miene, aber Johns Hand blieb in der Luft stehen wie gelähmt,
wie das Denkmal einer Ohrfeige. »Der blutet ja!« »Geh doch nach Hause, John!«
Den Kindern wurde es peinlich. Auch Sherard mischte sich wieder ein: »Der kann
sich doch nicht richtig wehren!« John ging weiter hinter Tom her und angelte
nach ihm, aber ohne Überzeugung. Sie waren vielleicht nicht alle gegen ihn,
auch wenn sie lachten und gespannt zusahen, aber einen Moment lang konnte John
nicht mehr einsehen, warum die Gesichter von Menschen so aussahen: fletschende
Zähne, seltsam geweitete Nasenlöcher, auf- und zuklappende Augenlider, und
einer wollte immer noch lauter sein als der andere. »John ist wie

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