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Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Entdeckung der Langsamkeit

Titel: Die Entdeckung der Langsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sten Nadolny
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stellte seine Frage: »Wie komme ich, bitte, auf ein
Schiff?«
    Â»In Hull«, sprach der Fischer und wies mit dem Hammer nach Norden,
»oder Skegness im Süden, aber nur mit viel Glück.« Er betrachtete John mit
einem schnellen Blick von oben bis unten und, wie der in der Luft
stehenbleibende Hammer verriet, mit Interesse. Ein weiteres Wort kam nicht aus
seinem Munde.
    Der Wind zerrte und schob, John stampfte nach Süden. Glück hatte er
bestimmt, also Skegness! Er wandte kaum den Blick von den unaufhörlich ins Land
greifenden Wellen. Ab und zu setzte er sich auf eine der hölzernen Barrikaden,
die in gestaffelter Formation das Meer an seiner Sandarbeit hindern sollten.
Ständig sah er neue Rinnsale, Teiche und Löcher entstehen, die sich alsbald
wieder in strahlend glatte Flächen zurückverwandelten. Triumphierend schrien
die Möwen: »Richtig so!« oder »Geh nur!« Am besten gar nicht erst betteln!
Sofort auf ein Schiff, da gab es auch zu essen. Wenn die ihn erst einmal
genommen hatten, dann fuhr er dreimal um die Welt, bevor sie ihn wieder nach
Hause schicken konnten. Die Häuser von Skegness schimmerten schon hinter den
Dünen. Er war schwach, aber zuversichtlich. Er setzte sich nieder und starrte
eine Weile auf den feingerippten Sand, und seine Ohren hörten die Glocken der
Stadt.
    Die Wirtin in Skegness sah John Franklins Bewegungen, blickte ihm in
die Augen und sagte: »Der kommt nicht mehr vom Fleck, der ist ja halb verhungert.«
John fand sich an einem Tisch mit rauhem Tuch wieder, einen Teller vor sich mit
einer Scheibe darauf, wie dickgeschnittenes Brot, aber aus Fleischstücken
zusammengesetzt. Den Schilling durfte er steckenlassen. Es schmeckte kühl,
sauer und salzig und war für den Schlund, was Glocken für die Ohren waren und
feingerippter Sand für die Augen. Er aß voll tiefer Freude, die gierigen
Fliegen störten nicht, er lächelte während der ganzen Mahlzeit. Auch die
Zukunft sah reich und freundlich aus, dabei überschaubar wie auf einem Teller.
Er war auf dem Weg in fremde Erdteile. Er würde die Schnelligkeit erforschen
und lernen. Eine Frau hatte er gefunden, die ihm zu essen gab. Da konnte auch
ein gutes Schiff nicht weit sein.
    Â»Wie heißt das?« fragte er und deutete mit der Gabel auf den Teller.
»Das ist eine gestandene Schüssel«, sagte die Wirtin, »Sülze vom Schweinskopf,
die gibt Kraft.«
    Er hatte jetzt Kraft, aber ein Schiff fand er nicht. Kein Glück
sonst in Skegness. Sülze ja, Fregatte nein. Aber das konnte ihn nicht beirren.
In der Nähe sollte der Gibraltar Point liegen, da kamen viele Schiffe vorbei
auf dem Weg in die Bucht Wash. Dort wollte er sich umsehen. Vielleicht konnte
er ein Floß bauen und hinausfahren bis zur Schifffahrtslinie, dann sahen sie
ihn und mußten ihn mitnehmen. Er wanderte nach Süden aus dem Ort hinaus:
Gibraltar Point!
    Nach einer halben Stunde im gleißenden Sand drehte er sich um. Die
Stadt verschwamm schon wieder im Dunst. Davor aber bewegte sich ein Punkt, sehr
klar zu erkennen. Da näherte sich jemand ganz rasch! John beobachtete die
Bewegung mit Sorge. Immer länglicher wurde der Punkt in der Senkrechten, hüpfte
auf und ab. Das war kein Mensch zu Fuß! John stolperte eilends hinter einen der
Wellenbrecher aus Holzbalken, kroch flach am Boden bis zur Wasserlinie und
versuchte sich in den Sand einzuwühlen. Er lag auf dem Rücken, scharrte mit
Fersen und Ellenbogen und hoffte, das Meer würde ihn mit einigen langen, leckenden
Schlägen so einsintern lassen, daß nur die Nase heraussah. Jetzt hörte er
Hundegebell näher kommen. Er hielt die Luft an und blickte starr in die Wolken
des Himmels, mit hölzernen Gliedern, als sei er selbst der Wellenbrecher. Als
die Jagdhunde direkt in sein Ohr kläfften, gab er auf. Sie hatten ihn. Nun sah
er auch die Pferde.
    Vom Fluß Steeping her war Thomas angeritten, von Skegness der Vater
mit den Hunden. Thomas zerrte ihn am Arm, John wußte nicht warum. Dann übernahm
ihn Vater, es kamen die Prügel, gleich hier unter der Nachmittagssonne.
    Sechsunddreißig Stunden nach dem Beginn seiner Flucht war John
wieder auf dem Heimweg, vor seinem Vater sitzend auf dem immerzu wackelnden und
stoßenden Pferd, und durch verschwollene Augen beobachtete er die fernen Berge,
die wie im Hohn zusammen mit ihm zurückritten nach Spilsby, während Hecken,
Bäche und

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