Die Entdeckung des Higgs-Teilchens: Oder wie das Universum seine Masse bekam (German Edition)
(Pearson Scott Foresman)
Der moderne Weg ist umgekehrt: Man fängt mit einer Symmetrie an, konstruiert daraus eine Theorie und prüft schließlich, ob diese Theorie sich im Rahmen eines Experiments bestätigen lässt. Bestätigt das Experiment die Theorie, so kann diese mit anderen Theorien zu einem größeren gedanklichen Gebilde verknüpft werden. Tut es das hingegen nicht, wird die Theorie »weggeworfen«, und man beginnt mit einer anderen Symmetrie von Neuem.
Doch was in aller Welt fokussiert die Physiker so auf diese Symmetrien? Nun, aus der Wissenschaftshistorie wird erkennbar, dass die besseren Theorien, die mehr Effekte erklären konnten als ihre Vorgängertheorien, immer diejenigen waren, die eine größere Symmetrie besaßen. Die meisten antiken griechischen Philosophen und Denker dachten beispielsweise, dass die Raumachse OBEN – UNTEN besonders ausgezeichnet sei. Schließlich fielen alle Körper in dieser Richtung nach unten. Newton zeigte und postulierte dann, dass unser Universum keine bestimmte Richtung in seiner mathematischen Struktur bevorzugt. Lediglich durch die Massenanziehung unserer Erde im Rahmen des ebenfalls symmetrischen Gravitationsgesetzes konnten wir diesem Eindruck erliegen.
Die Newton’sche Mechanik wurde durch die Umformulierung von Lagrange allgemeiner und symmetrischer, bis Albert Einstein zu seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gelangte, für die meisten Physiker der Inbegriff von Schönheit und Symmetrie.
Es ist aufschlussreich, einige alltägliche Objekte oder auch Kunstwerke auf ihre Symmetrie hin zu untersuchen. Auch diese besitzen oft eine bestimmte symmetrische Grobstruktur, die in den Feinheiten die Symmetrie regelhaft bricht. Erst dadurch vermag ein Kunstwerk spannend und schön zu wirken.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die Asamkirche in München aus der Zeit des Spätbarocks. Die Gestaltung der Kirche wirkt auf den ersten Blick sehr symmetrisch. Achtet man jedoch auf die kleinen Ornamente und Details, so stellt man fest, dass sie die Symmetrie »brechen«.
Abbildung 22: Nach den Maßgaben der Theoretischen Physik ist die Asamkirche in München ein symmetrisch konzipiertes Gebäude, das jedoch in Details und kleinen Ornamenten von der strengen Symmetrie abweicht.
© Wikimedia.org. (Schlaier)
Nun kann die perfekte physikalische Symmetrie sich ebenso wenig bis in extenso entwickeln. Wäre unser gesamtes Universum symmetrisch, so würde es nur aus einem homogenen Brei bestehen. Galaxien, Sterne, Planeten – von Leben ganz zu schweigen – wären in der perfekten Symmetrie nie entstanden. Es muss also leichte Asymmetrien oder Symmetriebrechungen geben, die das Entstehen von Strukturen erlauben.
Der PhysikerAnthony Zee fasste diesen Gedanken, der auch schon Einstein umtrieb, wie folgt zusammen:
»If you were the creator, you would be faced with an impossible design dilemma: On the one hand, you would like to make the universe a fun and interesting place. On the other hand, if your design is not perfectly symmetric, people would criticize your thoughts.« (Als Schöpfer des Universums wären Sie mit einem unauflösbaren Gestaltungsdilemma konfrontiert: Einerseits würden Sie das Universum als einen vergnüglichen und interessanten Ort erschaffen wollen, andererseits würden die Leute Ihre Absichten kritisieren, wenn der Plan nicht perfekt symmetrisch ist.)
Zurück zu unserem Higgs-Mechanismus: Unsere Theorie der schwachen Wechselwirkung muss eine Asymmetrie in Form einer Symmetriebrechung aufweisen, die dafür sorgt, dass unsere Austauschbosonen eine von Null verschiedene Masse besitzen. Dies können Sie vergleichen mit einem Kunstwerk, das aus der Ferne symmetrisch wirkt, aus der Nähe betrachtet aber etwas unterschiedliche Ornamentik auf der rechten und auf der linken Seite aufweist – analog zum Design der Asamkirche. Doch wie kommt es zu einer solchen Symmetriebrechung?
Symmetriebrechung
Wenn wir eine Symmetrie brechen wollen, gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten hierzu:
1. Man bricht die Symmetrie direkt. Das bedeutet, dass man künstlich einen asymmetrischen Störterm zu unserem symmetrischen Lagrangian addiert. Für einige Bereiche der schwachen Wechselwirkung, die extremste Asymmetrien aufweist, hat sich diese Option bewährt. Doch um die im Standardmodell aus dem Nichts auftauchende Masse zu erklären, ohne dabei andere Symmetrien inklusive unserer Eichinvarianz ebenfalls quasi mit dem Hammer zu brechen, bedarf es eines wesentlich
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