Die Entdeckung des Higgs-Teilchens: Oder wie das Universum seine Masse bekam (German Edition)
Schwingungszustände eines Feldes ein Teilchen repräsentieren, muss sie zu einer Lagrange-Dichte-Funktion umgeschrieben werden. Um dieses sperrige Wort zu vermeiden, spricht man meist kurz vom Lagrangian.
Der Lagrangian einer Quantenfeldtheorie beschreibt vollständig die Teilchen mit deren Eigenschaften und Wechselwirkungen. Es ist also möglich, eine Reihe verschiedener Lagrangians aufzustellen und damit zu experimentieren. Man kann auf diese Weise »spielzeugartige« Theorien aufstellen, die keine praktische Entsprechung haben müssen. Dieses Vorgehen ist hilfreich, will man sich erst einmal mit den Werkzeugen der Quantenfeldtheorie vertraut machen.
Mathematisch gesehen muss ein Lagrangian bestimmte Eigenschaften haben: Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Physiker, der seit seiner frühen Kindheit unter einer schrecklichen Nackenstarre leidet, deswegen seinen Kopf immer krumm zur Seite gestreckt hält und ihn nicht gerade aufrichten kann. Versucht er nun die Flugbahn eines Balles zu beschreiben, so wird sich seine Schilderung von derjenigen anderer Physiker unterscheiden. Seine Auffassung der Welt dürfte sein: »Alle schweren Objekte fallen immer nach rechts.« Im Gegensatz zum gewöhnlicheren Statement: »Alle schweren Objekte fallen immer nach unten.« Trotzdem beschreiben beide Sichtweisen dieselbe Bewegung.
Physiker versuchen daher schon seit Längerem immer auch zu fragen, unter welchen Transformationen eine Theorie im Kern immer noch gleich bleibt. Jemand, der seinen Kopf in die Schräglage »transformiert« hat, sollte somit immer noch die gleichen fundamentalen Prinzipien in der Natur erkennen können.
Eine der wichtigsten Transformationen ist die Eichtransformation . Stellen Sie sich vor, Sie wollen auf die Zugspitze klettern und möchten wissen, wie viele Höhenmeter Sie zurückzulegen haben. Um diese zu bestimmen, haben Sie verschiedene Möglichkeiten. Sie können die Differenz der Meereshöhe der Zugspitze und derjenigen Ihrer aktuellen Position bilden. Oder aber Sie messen beide Entfernungen vom Erdkern aus und subtrahieren die Beträge. Sie können aber auch dem Zugspitzgipfel die Höhe 0 zuweisen und dadurch Ihrem Standort eine negative Höhenzahl verleihen. Es spielt also keine Rolle, wo Sie den Nullpunkt setzen. Letztlich zählt nur der relative Unterschied zwischen den beiden Punkten. Diese Freiheit in Bezug auf das Setzen des Nullpunkts nennt man Eichsymmetrie oder auch Eichinvarianz. (Die meisten Physiker verwenden die Wörter »Eichinvarianz«, »Eichsymmetrie« und »Eichtransformation« synonym.)
Die Eichsymmetrie führt nun dazu, dass innerhalb unserer Theorien (in der Lagrange-Funktion) den W- und Z-Bosonen keine Masse zugewiesen werden kann. Empirische Befunde zeigen jedoch deutlich das Gegenteil. Wie kann dieser Widerspruch gelöst werden?
Die Antwort hierauf liegt im Higgs-Mechanismus verborgen. Er stellt eine Erweiterung zu den bisherigen Theorien dar. Doch bevor wir uns mit seinen Details auseinandersetzen können, müssen wir uns erst noch mit der Rolle der Symmetrien in der modernen Physik beschäftigen.
Symmetrien
Unter einer Symmetrie versteht man in der Physik die Eigenschaft eines Systems, sich unter einer Transformation nicht zu ändern – also invariant zu bleiben. Die Symmetrien, die man in der Physik vorfindet, stellen häufig unanschauliche mathematische Symmetrien der Natur dar. Sie zu finden erfordert einiges an theoretischen Vorüberlegungen und raffinierten Experimenten. Dem gegenüber steht die alltägliche anschauliche Symmetrie, wie man in Abbildung 21 erkennen kann.
Die Symmetrie im Universum erkennt man nicht mit bloßem Auge, sondern nur mithilfe abstrakter Mathematik. Die Symmetrie eines Weinglases ist ein spezieller, anschaulicher Fall einer Symmetrie. Es gibt jedoch auch Symmetrien, die unanschaulich sind. Diese werden in der Gruppentheorie untersucht und bilden ein wichtiges Hilfskonstrukt zur Ableitung eines Lagrangian.
In der Vergangenheit basierten Erkenntnisse meist auf einem empirischen Experiment, dessen Ergebnisse mit gleichartigen Ergebnissen zu einer Theorie verknüpft wurden. Deren mathematische Verknüpfung wurde dann auf Symmetrien geprüft. Das ist der »klassische« Weg, wie er vor den Entwicklungen in Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie praktiziert wurde.
Abbildung 21: Unter der Transformation »Spiegelung an einer Achse« bleibt die erste Zeichnung invariant, die zweite nicht. Erstere ist somit symmetrisch.
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