Die Entdeckung des Himmels
beiden Fäusten auf die Brust trommelte, ging die Tür auf und ließ eine Horde Kinder herein, allen voran ein kleines, etwa siebenjähriges Mädchen. Sie hatte ein weißes Nachthemd an, das ihr bis zu den nackten Füßen reichte, und rief:
»Wer ist das, der betrunkene Mann da?«
Mit einem Blick voller Abscheu nahm Onno sie in Augenschein.
»Schlangenbrut! Sollen denn auch sie alle wieder Minister und Richter und Botschaftergattinnen werden? O Gott, nehmt diese Kinder und zerschmettert sie an den Felsen! Sonst hört das nie auf!«
»Onkel Onno! Onkel Onno!«
»Ich bin niemandes Onkel. Wie könnt ihr es wagen? Ich bin nur mein eigener Onkel. Unverstanden, von jedem verlacht und in die Ecke gedrückt, schwebe ich einsam und gewaltig in den dünnen Sphären des Ganz Anderen.«
»Mir wird so langsam ziemlich übel von diesem Pausenclown«, sagte der Kommissar der Königin. »Vater, reden Sie doch bitte ein Machtwort.«
Es wurde still. Auch Onno schwieg plötzlich. Weit weg, im Vorderzimmer, bei den Plüschgardinen, saß Quist. Onno konnte ihn nicht sehen, er sah in seine Richtung, mit tastenden Augen, wie wenn man einen schwachen Stern auf die Netzhaut zu bekommen versucht.
»Ach«, sagte Quist, »das kommt schon wieder in Ordnung mit dem Jungen.«
Als Onno das hörte, stellte er sein Glas auf die Fensterbank und suchte zwischen den schweren Möbeln und den ausgestreckten Beinen seinen Weg in das Vorderzimmer – ein Gang, bei dem das Durchschnittsalter der Gäste stetig zunahm. Am anderen Ende der Suite saß sein Vater in einem Ohrensessel: ein abgelegener, zum Stillstand gekommener Findling, vorwärtsgetrieben von der Endmoräne seines Zeitalters. Neben ihm das eichene Stehpult mit der massiven Staatsbibel aus dem siebzehnten Jahrhundert, groß wie ein Koffer, mit silbernen Beschlägen und zwei schweren Schlössern. Er saß mit dem Rücken zur Straßenlaterne, so daß Onno sein Gesicht nicht sehen konnte. Er ließ sich auf die Knie sinken und drückte die Lippen auf die hohen, schwarzen Schuhe seines Vaters. Das Leder war warm von den Füßen, die es barg. Er stand wieder auf, und in einem plötzlich leichten Ton sagte er: »Adieu allerseits. Ich gehe nach Hause.«
»Wie spät ist es?« fragte seine Mutter. »Jetzt fährt doch kein Zug mehr?« – »Ich fahre per Anhalter.«
»Was für ein Unsinn, du kannst doch hier übernachten.«
Onnos Schwager lachte. »Es würde mir nicht im Traum einfallen, so eine zweifelhafte Person mitzunehmen, mitten in der Nacht.«
»Wir haben auch noch ein Bett frei. Wir gehen alle nach Hause, es ist schon halb eins.«
»Ich fahre nach Amsterdam, ich habe noch eine Verabredung.«
»Stell dich nicht so an, du hast gar keine Verabredung.«
»Laßt ihn doch«, sagte der Oberstaatsanwalt.
Waren die Beleidigungen vielleicht schon wieder vergessen?
Offenbar betrachteten ihn seine Verwandten als eine Naturerscheinung: nach dem Sturm werden die abgerissenen Zweige aufgeräumt, und damit hat sich’s.
Onno breitete die Arme zum Abschied aus und ging leise pfeifend zur Diele.
»Hier kannst du nichts finden«, sagte seine jüngste Schwester mit der nahezu erloschenen Taschenlampe in der Hand, »in dieser ägyptischen Finsternis.«
Während er in den Stapeln von Mänteln herumwühlte, knirschte ein Schlüssel im Schloß.
»Lieber Himmel, Sie bringen ja alles durcheinander«, sagte Coba und zog im Vorbeigehen seinen Mantel hervor.
»Soll ich dich schnell zum Wassenaarseweg fahren?« fragte seine Schwester, während er seinen Mantel noch einmal auf- und diesmal richtig wieder zuknöpfte. »Es tut gut, eine halbe Stunde zu Fuß.«
»Ich möchte jetzt ein wenig laufen.«
»Du bist ruhelos.«
Er gab ihr einen Kuß auf die Stirn und ging hinaus. Als er das Gartentor schloß, gingen im Haus die Lichter wieder an.
Den Haag lag still in der Nacht. Es fuhren kaum noch Autos. Die Häuser hatten eine hellere Farbe als die in Amsterdam, aber fast alle Fenster waren dunkel. Die Beamten schliefen – und träumten davon, die Unruhen in der Hauptstadt, die jetzt schon Jahre andauerten, gewaltsam niederzuschlagen, mit Panzern an den Straßenecken und Sturzkampfb ombern, die Raketen auf die Universitätsinstitute abfeuerten, woraufh in sie selbst zu Regierungskommissaren der befriedeten Stadt ernannt wurden.
In seinem schweren langen Wintermantel ging Onno zur Ausfallstraße Richtung Leiden. Obwohl es fror, trug er keine Handschuhe, aber er steckte die Hände auch nicht in die Taschen; er
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