Die Entdeckung des Himmels
weg. Was jetzt? Er saß in einem zu kleinen Sessel, sie auf der Couch. Er stand auf, kniete sich vor sie hin und legte seine rechte Hand offen in ihren Schoß.
»So, jetzt zeig mal, was du kannst.«
Er spürte die Wärme ihrer Oberschenkel, aber sie legte seine Hand beiseite wie ein Buch, das sie nicht lesen wollte, und nahm seine linke. Sie lag wie ein gefundener Gegenstand in der ihren; ihre kleine Hand war viel wärmer als seine, was ihn noch mehr erregte. Noch immer hatte sie kein Wort gesprochen; sie wußten voneinander nicht einmal die Namen.
Nachdem sie einen Blick auf seinen kurzen, leicht verformten Daumen geworfen hatte, begann sie wieder mit einem Filzstift Kreuze und Kreise zu malen, hielt aber plötzlich inne und sah ihn erschrocken an. Auch er erschrak jetzt. In ihrem Blick war etwas, das er zwar nicht glauben würde, aber dennoch nicht hören wollte. Er zog seine Hand zurück und legte sie auf ihre Hüfte, legte die andere in ihren Nacken, drang mit den Fingern in ihr dickes Haar und zog ihren Kopf leicht zu sich, was sie willig geschehen ließ. Er grunzte kurz, sprang dann plötzlich nach vorne, über sie, während sie augenblicklich die Beine spreizte. Im selben Moment wälzten und bissen sie sich wie kämpfende Hunde, rissen sich gegenseitig die Kleider vom Leib, jaulten, schrien, wurden von einem Strudel erfaßt und mitgerissen in eine Tiefe, an die es gewöhnlich keine Erinnerung gibt.
Mit einem Ruck wachte er auf. Länger als eine Minute hatte er nicht geschlafen. Er drehte den Kopf zur Seite. Über der langsam herabsinkenden Glut eines Räucherstäbchens neigte sich ein dünnes, weißes Aschetürmchen immer weiter nach vorn und brach schließlich ab.
»Ich muß los«, sagte er.
Wieder studierte er den topologischen Zustand der Handleserin. Es schien, daß sie auch Schlangenmensch war; die Haltung war unmöglich, wie eine Zeichnung von Escher, die Wülste hatten sich gelöst und lagen jetzt wie geronnene Lava über Schultern und Rücken, aber es konnte auch ihre Brust sein.
Ohne sie aufzuwecken, kroch er unter ihr hervor und öffnete eine Tür, hinter der er das Schlafzimmer vermutete. Dann hob er sie hoch, sie war so leicht wie ein Kind, legte sie vorsichtig auf das Bett und deckte sie zu. Sie war nicht aufgewacht. Da er sich gehetzt fühlte, als ob er in Eile wäre, duschte er nicht; in der Küche wusch er sich mit kaltem Wasser, trocknete sich mit einem klammen Geschirrtuch ab, zog sich rasch an und sah sich suchend um. In einem Bücherregal aus hellem, schwedischem Holz stand eine Ansichtskarte mit einer Abbildung von Jan van Eycks Arnolfini-Hochzeit : vielleicht wegen der Hand der schwangeren Braut, die mit der Innenseite nach oben in der des Bräutigams lag. Die Rückseite war nicht beschrieben.
Aus der Innentasche seines Jacketts zog er einen gelben Bleistiftmit einem Radiergummi am Ende, nahm aus der Seitentasche einen kleinen Bleistiftspitzer, spitzte den Stift sorgfältig über einem Aschenbecher und schrieb: Das vergesse ich nie. – Max.
Er überlegte kurz, ob er seine Telefonnummer dazuschreiben sollte, unterließ es dann aber. Sorgfältig lehnte er die Karte auf ihrem kleinen Schreibtisch an einen geschliffenen, geäderten rosa Stein, der vielleicht beseelt war von magischen Kräften, vielleicht aber auch einfach nur ein Andenken an einen südlichen Strand. Dann blies er die Kerzen aus, ließ den Weihrauch brennen und zog leise die Tür hinter sich zu.
Er fühlte sich bis in die Fingerspitzen gereinigt und mußte an einen Urlaub in Venedig denken, als nach einem Gewitter plötzlich violette Berge am Horizont zu sehen waren. Seine Müdigkeit war verschwunden, und mit der Ersten von Schubert im Radio – vermutlich die Berliner Philharmoniker unter Böhm – fuhr er aufs Geratewohl durch die leeren, winterlichen Straßen. Er war frei! Er war wunschlos! Das war ebenso herrlich wie das Ficken oder die Sicherheit vorher, daß es passieren würde. Oder war es vielleicht sogar schöner? Lag der Grund dafür, daß er jeden Tag mit einer Frau schlafen wollte, letztlich vielleicht nur im Erreichen dieses Ziels: daß er es für kurze Zeit nicht mehr wollte? Was für ein glücklicher Greis er dann werden würde. Aber so war es natürlich nicht; bis dahin würde er sich wünschen, daß er wollte, was er nicht mehr konnte. Das Glück war nicht die Freiheit von Ketten, sondern die Befreiung von Ketten, sie waren für das Glück unentbehrlich!
Er hatte keine Ahnung, wo er war, aber wenn
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