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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Garten der Lüste , das musikalische Inferno, oder auch wie die obere Figur von Marcel Duchamps Großem Glas.
    Was erzählst du da bloß für Zeug?
    Achten Sie nicht darauf. Durch das ganze genetische Gefummel fährt immer noch eine Spule in mir hin und her, wie in einem Webstuhl. Ende 1944, im letzten Kriegswinter, postierte die deutsche Besatzung am Bahnhof in Leiden, genau südlich der Universitätsklinik, regelmäßig Züge mit V2-Raketen, in der Hoffnung, das würde die Engländer von Luftangriffen abhalten. Von einer Abschußbase in der Nähe wurden sie auf London abgefeuert. Aber eines Tages im Dezember wurde der Bahnhof um zwölf Uhr mittags dennoch schwer bombardiert; kurz darauf kursierte in Delft das Gerücht, das Krankenhaus brenne. Obwohl vom Hunger geschwächt und trotz der Kälte, fuhr Sophia sofort mit dem Fahrrad nach Leiden, um zu sehen, ob ihrer besten Freundin, einer Krankenschwesterkollegin, etwas passiert war. Als sie am Museum vorbeikam, einige hundert Meter südlich des Bahnhofs, erfolgte der zweite Angriff, und sie suchte Schutz in einem Hauseingang. Aber da die Engländer unter meinem günstigen Einfluß befürchteten, das Krankenhaus zu treffen, regnete es plötzlich Bomben um sie herum. Eine verwüstete einen Flügel des Museums, in dem die Messingteleskope aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert ausgestellt waren. In dem Chaos aus Feuer, Lärm, Staub, Geschrei in Niederländisch und Deutsch, Feuerwehr, Krankenwagen und Polizei traf sie auf Oswald Brons. Verwirrt, mit zerrissenen Kleidern und von Schrammen übersät, irrte er durch die Trümmer und hielt eine kolossale Linse wie ein Baby in den Armen; da kümmerte sie sich um ihn.
    Kleiner Eingriff. Günstiger Einfluß: wie viele Tote?
    Vierundfünfzig.
    Ein wenig gegenlenken , sagtest du?
    Jetzt hören Sie mal gut zu, was wollen Sie eigentlich? Ich habe es mir nicht ausgedacht, dieses Manipulieren, ich führe nur Ihren cherubinischen Willen aus. Immerhin habe ich verhindert, daß das Krankenhaus in Schutt und Asche gelegt wurde. Es erscheint so einfach, den natürlichen Lauf der Dinge zu beeinflussen, aber die Realität ist wie Wasser: flüssig und beweglich und nur mit sehr viel Kraftaufwand ein klein wenig zusammenzupressen. Wenn ein Mensch aus großer Höhe auf diese Oberfläche fällt, ist sie so hart wie der Fels, aus dem Moses das Wasser schlug.
    Ach , unser Moses … Da berührst du eine empfindliche Saite.
    Verzeihen Sie.
    Wann kam ihre Tochter zur Welt?
    1946, während der Geburtenwelle.
    Wann lernte sie den jungen Delius kennen?
    Im März 1967.
    Erzähl mir von diesem Moment an die ganze Geschichte. Am liebsten ohne Kommentar. Und am besten ausführlich und detailliert , damit ich die Wahl habe , wenn ich meinerseits den Bericht erstatte.
    Für ein besseres Verständnis wäre es besser, etwas früher zu beginnen.
    Wann?
    Am Montag, den 13. Februar 1967, um zwölf Uhr abends.
    Also eigentlich am 14. Februar.
    Ja, die Menschenzeit ist ein großes Paradoxon.
    Welches Jahr schreiben die da unten jetzt?
    1985.
    Fang an. Ich höre.

1
Die Familienfeier
    Genau um Mitternacht sorgte ich für einen Kurzschluß. Wer durch die stille Haager Allee ging, gegen den Frost tief in seinen Mantel gehüllt (aber so jemanden gab es in diesem Moment nicht), sah im frei stehenden Patrizierhaus plötzlich alle Lichter ausgehen, als ob dort drinnen eine riesige Kerze ausgeblasen worden wäre. Für die Bewohner des Viertels hatte die Villa eine einigermaßen zweifelhafte Ehre: dort wohnte der legendäre Staatsminister, der streng reformierte Hendrikus Quist. In den Zimmern unten im Erdgeschoß, wo die Feier stattfand, wurde die plötzliche Dunkelheit und das Verklingen der Musik in einer unendlich tiefen Höhle mit Lachen begrüßt.
    »Jetzt ist das Jungvolk dran«, rief eine schon nicht mehr so junge Frauenstimme.
    »Wer ist hier technisch versiert?«
    »Ich mache das schon. Wo sind die Sicherungen, Großmutter?«
    »Auf dem Stromzähler, in dem Schränkchen neben der Kellertreppe.«
    »Jemand muß mit irgend etwas herumgepfuscht haben, einen Kurzschluß gibt es doch nicht einfach so.«
    »Ich sehe kurz nach den Kleinen auf dem Dachboden.«
    »Au!«
    »Irgend jemand hat natürlich wieder diesen verdammten Toaster benutzt. Coba?«
    »Ja, gnädige Frau?«
    »Hast du den Toaster benutzt?«
    »Nein, gnädige Frau.«
    »Schau nach, ob im Wandschrank noch Kerzen sind.«
    »Ja, gnädige Frau.«
    Nur die Straßenlaterne warf noch etwas Licht herein. Im

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