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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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die Weltsprache. Wir wollen uns deshalb aufs Lateinische beschränken: consummatum est. Es ist vollbracht. Ich bin am Ende meiner Kräfte. Wir haben ausgedient. Die Welt hat ausgedient. Die Menschheit hat ausgedient – nur Luzifer nicht. Was wir nie für möglich gehalten haben, ist geschehen: Die Zeit hat Zugriff auf uns bekommen. Die Zeit – das war Luzifers geheime Waffe.
    Das einzige, das uns nach mehr als dreitausend Jahren blieb, war die Rücknahme der zehn Worte. Eine machtlose Geste natürlich: wie ein betrogenes Mädchen, das ihren Verlobungsring zurückbekommt.
    Schaler Trost, symbolische Handlung, melancholischer Abschied. Der Dekalog war auf Erden der entscheidende Dreh- und Angelpunkt: der Vertrag des Chefs mit der Menschheit, abgeschlossen mit ihrem Verwalter, dem jüdischen Volk, vertreten von seinem Führer Moses in der Rolle des Notars. Von jetzt an hat Luzifer freie Hand. Laß ihn die Menschendinge doch holen, es ist mir inzwischen eigentlich ziemlich egal.
    Vielleicht erscheint auf der Erde jemand, der alles wieder ins Lot bringt.
    Der müßte dann doch wieder von hier kommen, aber von hier kann nichts mehr kommen. In Moskau hat seit kurzem eine aufgeklärte Person das Sagen, im Positiven der größte Mann aus dem zwanzigsten Jahrhundert der Menschen, so groß wie der, dessen Namen ich nicht nenne, im Negativen; innerhalb von fünf Jahren wird die Berliner Mauer abgerissen, Rußland wird seine Kolonien verlieren, die ganze Welt wird jubeln vor Glück, weil eine neue Zeit angebrochen ist – und dann wird in den befreiten Gebieten erneut der größte, blutrünstige Schwachsinn ausbrechen, es wird Völkerwanderungen geben, in Sarajevo werden wieder Schüsse fallen, und beim Herannahen des dritten Jahrtausends wird dieses widerliche zwanzigste Jahrhundert wegen des durchschlagenden Erfolges in die Wiederholung gehen.
    Ich kann es nicht glauben.
    Du wirst schon lernen, es zu glauben. Und das sind alles alte Hüte, die Politik, das bedeutet gar nichts. Entstehung und Untergang von Weltreichen hat es immer gegeben. Die Politik ist die Kräuselung der Wellen im Sturm, der nicht den geringsten Einfluß auf die Wellen hat, denn die kommen von ganz woanders her, die kommen vom Mond. Zu den alten Katastrophen kommen jetzt auch die vernichtenden Flutwellen der neuen: mit ihrer baconianischen Beherrschung der Natur werden sich die Menschen eines Tages nuklear verheizen, verbrennen durch das Loch, das sie in die Ozonschicht geschlagen haben, sich im sauren Regen auflösen, braten im Treibhauseffekt, einander erdrücken, sich selbst an der Doppelhelix der DNS erhängen, ersticken in ihrem eigenen Müll: in Satans Scheiße, denn dieses Biest hat seinen Pakt nicht aus Liebe zur Menschheit geschlossen, sondern aus Haß gegen uns. Die Hölle wird auf der Erde losbrechen, und die Menschen werden vielleicht irgendwann einmal an die gute alte Zeit zurückdenken, als sie noch auf uns gehört haben – aber vermutlich nicht einmal mehr das. Nicht einmal mehr tragisch wird es sein, nur noch miserabel. Es ist hoffnungslos. Vergiß es.
    Und wenn sie wüßten, was wir getan haben, würde sie das nicht zur Umkehr bewegen? Dafür könnte ich sorgen. Es gibt noch einen einzigen Menschen auf Erden, der Bescheid weiß.
    Das hast du schon einmal vorgeschlagen. Mach dir doch nichts vor. Wenn sie es wissen, wird kein Schwein es glauben.
    Die Nachricht wird hier und da erwähnt werden; vielleicht werden ein paar tausend Rechtschaffene, ein paar hundert Theo-
    logen und zehn Archäologen sich darüber aufregen, aber dann wird es von der unaufh örlichen Sturzflut neuer Nachrichten überschwemmt, und einige Monate später wird es vergessen sein. Nein, hör auf, es ist vorbei. Finis comoediae.
    Wir könnten es doch versuchen!
    Nein, nicht einmal dieses Wissen gönne ich unseren verräterischen Sprößlingen noch.
    Verstehe ich Sie recht? Befindet sich Onno Quist in Gefahr, wenn er es weitererzählt?
    Das sollte vermieden werden. Wirf ihm in diesem Fall halt auch einen Stein an den Kopf, wie Max Delius. Moment mal –. Ich werde gerufen. Ich muß über deine Geschichte Rechenschaft ablegen.
    Lassen Sie uns dann etwas ausdenken, wir müssen kämpfen bis zuletzt – noch ist es möglich! Lieber scheitern, als die Hände in den Schoß legen! Können wir nicht den Pakt suchen, den Luzifer mit Bacon geschlossen hat?
    Die Zeiten sind vorbei. Du gehst in Rente. Danke für alles, auch im Namen des Chefs. Adieu.
    Dann werde ich es eben allein

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