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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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drohen, statt gemeinsam die erste elektrisch beleuchtete Stadt der Welt zu werden«, er blickte dem einen oder anderen Saufkumpan in die Augen und fuhr dann energisch fort: »Die Münchner werden sich schön freuen!«
    Das Wort Bankrott hatte Jakob getroffen wie ein Faustschlag. Er stellte sich schon vor, wie es wäre, in Italien neu anzufangen, wo man bestimmt nicht so über ihn reden würde. Hermann freute das Wort, er hatte es seinem Bruder ja immer gesagt. Seit er hier war, hatte er es ihm immer gesagt.
    Von der Mühsal, sein Temperament zu zügeln, war Petuel erschöpft, und aus Ärger über seine schon fast akzeptierte Niederlage hob er die Faust. Er bremste die Bewegung noch ab, so gut es ging, denn so einer war er.
    Der eine oder andere im Magistrat missverstand das aber offenbar als symbolisches Heben eines imaginären Bierkruges, vielleicht als Prost auf Schwabing. Einer nach dem anderen hatte daraufhin ebenfalls symbolisch einen Krug gehoben oder die Faust in die verbrauchte Luft gehalten, was immer nun gemeint war.
    »Wenn eine andere Firma zu Ende bauen muss«, sagte Petuel irritiert, aber froh, dass sie nicht über ihn herfielen, »dann wird es noch länger dauern, wir werden gar nicht wissen, wann die Anlage fertig würde, und die Kosten sind auch nicht auszurechnen.«
    Es folgte ausgelassenes Gemurmel.
    Alois Ansprenger, in manchem Wirtshaus auch »Bürgermeister Anstrengend« genannt, ließ von seiner Forderung auf Minderung ab. Nach der Sitzung beachtete er die Einsteins einfach nicht und kam Petuel gegenüber nicht mehr auf das Thema zurück: »Du«, hatte er nur gesagt, als er ihn am Ärmel fasste, als wäre nichts gewesen: »Wir müssen mal über die Armenkasse reden.«
    Und nach einer Pause: »Morgen.« Und als ob nicht der Bürgermeister die Termine setzte, fragte er: »Wann hast du Zeit?«
    Wortlos waren die Brüder nach Hause geschlichen, Hermann erleichtert, Jakob erbost darüber, dass es »überhaupt so eine Sitzung geben musste«.
    4 Die Abnahme
    Seitdem hatten sie sich ruhig verhalten und gearbeitet, so gut sie es bloß vermochten. Bis zwei Tage vor dem Probelauf blieb trotzdem unklar, ob die Anlage diesmal fertig würde, zum dritten Termin, und Petuel hatte Jakob schon vorsorglich gesagt, er könne jetzt nichts mehr für ihn tun.
    Nach einer weiteren, für Schlafstörungen leicht ausreichenden Menge kleinerer Probleme mit den Freileitungen und Isolatoren, dauernden Beschwerden der beiden für das Verdrahten zuständigen Arbeiter über ihre blau gefrorenen Finger, Gegenbeschwerden über ihren Bierkonsum auf und unter den Leitern, einem Dutzend von Höchtls seltenen Flüchen, die er leise und allein in die Kälte vor sich hinsagte, als spräche er ganz im Vertrauen mit seiner Mutter, war die Anlage dann aber angeschaltet worden.
    Drei unvergleichlich lange Stunden lief Jakob mit Höchtl, Ansprenger, Uppenborn und Petuel die ganze Runde ab. Hermann saß die gesamte Zeit nervös neben den Generatoren und wartete auf kratzende Geräusche, auf ein aufflackerndes blaues Licht und den Geruch verschmorten Gummis. Um sich zu beruhigen, machte er seinen Lieblingsfehler: Er las die Zeitungen.
    In der wissenschaftlichen Rundschau berichteten die Münchner Neuesten Nachrichten über das Elektrizitätswerk an den Niagarafällen und deren ungeheure Kraft von geschätzten fünfzehn Millionen Maschinenpferden. Fünfzehn Millionen Pferde waren nicht vorstellbar. Hunderttausend auch nicht, aber hunderttausend davon, so die Ausgabe unten auf Seite eins, hatte man kanalisiert und auf Wasserkraftmaschinen geleitet. Vorläufig wurden fünfzehntausend Einheiten zum Betrieb von Dynamomaschinen verwendet, deren Strom im zweiunddreißig Kilometer entfernten Buffalo hauptsächlich zur Beleuchtung eingesetzt wurde, aber auch für Maschinen und Ventilatoren und für Aufzüge, die in diesem endlos weiten und leeren Land der Gleichheit, in dem angeblich alles größer, schlimmer und besser war als woanders, die Flucht nach oben ermöglichten. Eine Pferdekraft kostete pro Jahr, so die Meldung weiter, nur sechzig Mark!
    Der Witz, der Hermann entging, war der jüngst möglich gewordene Transport der Elektrizität über weite Distanzen. Als wäre es eine versteckte Bosheit, kam das Zauberwort Wechselstrom nirgends vor. Vielmehr legte der Bericht, als wäre er eine offene Bosheit, Wert darauf, wie preiswert zum Beispiel auch die Berliner Elektrizitätswerke seien, »vorbildlich« seien die Preise. Und bei der nächsten

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