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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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Nachricht sank Hermann noch mehr in sich zusammen, als er bereits von Natur aus schon zusammengesunken war: In Deptford entstand ein Werk, das London beleuchten würde, mit zwei Millionen Lampen. Hermann verging jeder Rest eines ohnehin bestenfalls imaginären Glaubens, sich ohne biblisches Wunder über Wasser halten zu können. In London war er noch nicht gewesen, er kannte London nicht. Er konnte sich London auch nicht vorstellen, und er konnte es immer weniger, je mehr er es jetzt versuchte.
    Näher und begreiflicher war ihm eine ganz andere Meldung, und obwohl sie die bedrohliche für ihn war, hielt er sich lieber bei ihr auf: Auf Seite drei meldete die Allgemeine Zeitung Münchens schmucklos, dass die »Kommanditgesellschaft Schuckert für Elektricität sich in Nürnberg definitiv constituirt« habe. Die erste »Einzahlung auf das Capital« war zum 1. April zu leisten. Hermann hielt seine Gedanken an, denn statt Friedrich Uppenborn war es zuerst Sigmund Schuckert gewesen, der als Leiter der Versuchsanstalt vorgesehen war. Schuckert hatte auch Interesse gezeigt, es aber wieder verloren, als die Beleuchtung des Marienplatzes am Widerstand der Gasbeleuchtungsgesellschaft scheiterte. Sie hatte auf laufende Verträge hingewiesen. Ob er für die Einsteins besser gewesen wäre als Uppenborn, fragte sich Hermann, kannte aber die Antwort: vermutlich nicht. Statt bis zu den Abnahmestreitereien vorzudringen, wären sie dann wahrscheinlich gar nicht erst an Aufträge gekommen.
    Ohne Schuckert waren es schließlich die Brüder Einstein gewesen, die den Marienplatz elektrisch beleuchteten, wenn auch nur vorübergehend, zur Probe und natürlich ohne Gewinn. Es hatte sogar Geld gekostet. Jakob sah das allerdings in engem Zusammenhang mit dem Schwabinger Auftrag, der in engem Zusammenhang mit dem Münchner Auftrag stand und über den hinaus er »erst mal nicht planen« wollte.
    Auf die Rückkehr seines Bruders wartend, oder auf einen Unfall, war Hermann fähig, diese Meldung ohne große Regung aufzunehmen. Er sortierte sie gar nicht ein. Noch halb bis drei viertel betäubt von den Londoner Lampen, blätterte er ziellos durch den Rest der Zeitungen, was ihn entspannte: Es hatte zwei Morde in München gegeben, ein Kind und ein Armenhäusler waren die Opfer. Die Diebstahlrate war gestiegen, seit der vermehrte Zuzug von Fremden die Gelegenheitstat begünstigte. Razzien und Inhaftierungen waren nicht nur speziell gegen unsolide Frauenzimmer durchgeführt worden, sondern hauptsächlich wegen Kuppelei. In Leoni am Starnberger See hatten der Postadjunct Landgraf und seine neunzehnjährige Geliebte, Tochter des Rentbeamten Graf von München, mit einem Revolver einen Doppelselbstmord versucht. Landgraf war seiner Verwundung erlegen, während das Fräulein Graf an dem Schuss in die Brust schwer verwundet daniederlag. Und schließlich hatte Professor Voit als Vorsitzender der elektrotechnischen Versuchsstation »die Güte gehabt«, vor dem Polytechnischen Verein zu sprechen.
    Hermann überfiel plötzlich das Verlangen, die Zeitung wegzulegen. Im Lärm der Maschinen fror er. Sein Bruder hätte längst mit den anderen zurück sein müssen. Hermann nahm deshalb an, es habe Schwierigkeiten, da sie schon im Maschinenhaus ausgeblieben waren, natürlich auf der Strecke gegeben. Der Strom floss zwar gleichmäßig ab, wie er an den Geräten sehen konnte. Die einfachste Erklärung war, dass er auch durch die Lampen floss und alle brannten. Aber die einfachste Erklärung war nie Hermanns liebste gewesen, und wenn es auch unwahrscheinlich war, dass der Strom an einem feuchten Mast herunter in den Erdboden floss wie ein Blitz, vollkommen undenkbar war es nicht. Dann suchten die fünf jetzt den schadhaften Isolator.
    Als Hermann schon nicht mehr damit gerechnet hatte, kamen sie alle gemeinsam in das Masschinenhaus: Petuel, Ansprenger, Jakob, Höchtl, Uppenborn. Hermann erhob sich sofort und stand gespannt vor ihnen.
    Ohne Notiz von ihm zu nehmen, sagte Petuel wörtlich, was Hermann vor ein paar Minuten erst in der Zeitung gelesen hatte: »Es gibt für Samoa gar keinen Neutralitätsvertrag zwischen Amerika, Deutschland und England.«
    Ansprenger nickte.
    »Wir haben vorletztes Jahr nur einen Vertrag mit Samoa gemacht, der uns die Kohlenstation im Hafen von Pago Pago zugesteht.«
    Ansprenger nickte noch einmal uninteressiert.
    »Deshalb«, schloss Petuel seinen Satz ab.
    Hermann stutzte.
    In den Lärm der Rotoren sagte Ansprenger dann, indem er Jakob

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