Die Entdeckung des Lichts
Jakob ruhig zurück und wies mit dem Kopf Richtung Hof, »aber Höchtl hat bis zum Oktoberfest auch nicht an uns geglaubt.«
Jakob war es, der auf dem Stachus oder in den Biergärten immer häufiger von Wildfremden gegrüßt wurde, als vor vier Jahren seine Pläne für die Beleuchtung der Festwiese bekannt geworden waren: »Ja, der Herr Einstein!«
In den Rathauszimmern hatte er sich mit einer geschickten Mischung aus Lautstärke, Anspruchsdenken und einem Selbstbewusstsein durchgesetzt, das er mit kalkulierten Pausen, in denen
er immer mal wieder dem Bürgermeister oder seinen Leuten keine Antworten auf ihre Fragen zukommen ließ, untermauerte. Er habe, entgegnete er entschuldigend am nagelneuen, ebenfalls von Edison erfundenen Telefon, »mit der Elektrifizierung zu tun und zu tun«.
Nicht ohne Zucker in der Stimme bedauerte Jakob den Zeitmangel, während er, kaum dass er eingehängt hatte, gern vor dem nervösen Rest der Familie dozierte, man müsse jeden Menschen, von dem man respektiert werden wolle, gelegentlich mal von oben herab behandeln.
Höchtl hatte jedenfalls aufgehört, sich zu bewerben. Er hatte wie entzündet zu arbeiten begonnen und sogar eine Schmiertechnik verbessert. Und als sie 1886 die Theresienwiese dann elektrisch beleuchteten, hatte Werkmeister Kornprobst ihn zum Betriebsleiter für die Festwoche gemacht, die aus Dampf, Rotoren, Nachtschichten und Übermut bestand, aus besoffenem Gegröle, wie es seit Jahrhunderten üblich war und sich trotz Technik, Medizin und Informationsfluss nie ändern würde, aus Katzenjammer oder Protzerei ausgewachsener Männer, aus Kabelgewirr, das von der Fabrik zum Festplatz gespannt wurde und laut Höchtl aussah »wie eine Nabelschnur«.
»Er hat halt«, so Jakob damals grinsend, »noch nie eine gesehen.«
Wichtig war: Die Presse schrieb. Sie verfiel sogar ins Dichten: »Die Bogenlampen gießen ein märchenhaftes Licht über den von Tausenden belebten Festplatz aus und gewähren im Gegensatz zu den rot flackernden Pechlaternen und matten Petroleumlichtern jenen eigenartigen Reiz, den der Silberschimmer des Mondes erzeugt, wenn er sich in der grünen Isar badet.«
Höchtl hatte stolz zu drei eigens aus London angereisten Journalisten gesagt: »Hier spielt die Musik, die Musik des Fortschritts!«
Alle drei Journalisten hatten zufrieden genickt, als ihr ebenso eigens aus Berlin angereister Übersetzer den Satz auf Englisch wiederholt hatte, denn besser hätten sie es auch nicht erklären können. Albert stand damals daneben, als sie Höchtl versprachen, er würde in der Times zitiert, von der man ihm sagte, sie erscheine in London. Das Versprechen wurde gehalten, ohne dass sein umständlicher Name hätte genannt werden müssen.
3 Ludwig Petuel
Seitdem fuhr Aloys Höchtl zu jeder Stunde klaglos raus, um ausgelaufene Lager, zerfetzte Wicklungen und durchgeschmorte Isolationen zu reparieren. Egal wo, egal was das Wetter aufführte.
Die Kunden, die eine Hochzeit oder Trauerfeier in ihrer Wirtschaft auszurichten hatten, gaben sich ebenso erdig und waren ebenso luftig wie Höchtl selbst. Sie nahmen ihn gerne bei sich auf. Zum Beispiel in Traunstein, wo es beim Gastwirt einen Totalschaden gab, die Lampen nach drei Tagen ohne Schlaf aber wieder leuchteten und glühten. Höchtl war von der geretteten Hochzeitsgesellschaft gefeiert worden, als hätte er im Alleingang die Ehe gestiftet, und war dabei in einen Zustand geraten, der ihn das selbst auch glauben ließ. Man erzählte sich, wie er Braut und Bräutigam im Licht geküsst hatte, die Braut durchaus etwas länger und intensiver als den Bräutigam, der steif danebenstand und pausenlos auf Höchtl einredete.
Ohne so einen, wusste Jakob mit dem Blick in den eisigen Hof, läuft kein Betrieb. Umso besser war es, wenn das neue Zeitalter eben auch diesen ehrlich arbeitenden, einfachen Mann hervorbrachte, der es als seine Stärke ansah, sich um Kälte und Uhrzeit nicht zu scheren. Filigran sollten andere Maschinen, unzuverlässig andere Firmen wirken, und oft hatte Jakob während der Verzögerungen in Schwabing den wortkargen Höchtl mit Erklärungen vorgeschickt. Ohne nachzudenken, nahm jeder von ihm an, er würde vor keiner möglichen Heldentat zurückschrecken und die unmögliche noch in Erwägung ziehen. Genau das war auch immer wieder nötig gewesen.
Seit Jahresbeginn schon hatten alle auf milde Tage oder gar Fön gewartet, um pünktlich fertig werden zu können. Aber vergebens. Jeden Morgen hatte derselbe Frost
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