Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
Vom Netzwerk:
sie angestarrt, und an den Bau der Fundamente war nicht zu denken. Der Termin war zwei Mal verschoben worden, natürlich nicht ohne lange und unangenehme Diskussionen im Magistrat, der sich noch zu gut an die gestiegenen Kupferpreise erinnerte.
    Ludwig Petuel hatte sich von den Einsteins eine elektrische
Anlage in seinen Brauereikeller bauen lassen, den seitdem sogar Münchner besuchten. Petuel war im Vorfeld auch der größte Fürsprecher der Elektrifizierung Schwabings gewesen. Als Magistratsrat hatte er gegen die Straßenbeleuchtung der Gasgesellschaft geredet, die zwar geringere laufende Kosten anbot, aber auf einer Vertragslaufzeit von fantastischen neunundneunzig Jahren bestanden hatte.
    Nur wollte Schwabing etwas ganz anderes: den Münchnern voraus sein. Elektrisches Licht war das Geschenk des Himmels, und als Petuel damals glücklich aus der Sitzung kommend zu den im Bierkeller wartenden Brüdern geeilt war, konnten Einsteins feiern. Sogar Hermann hatte an diesem Abend mitgemacht.
    Beim Bau weiteten sich die Verzögerungen allerdings dauernd aus. Zweimal schon war die Abnahme verschoben worden, und Hermann sah sich in seiner laut Jakob vermutlich angeborenen Schwarzmalerei bestätigt. Die Brüder und Petuel gerieten schwerer in die Defensive als je auf dem holprigen Weg zu den Straßenlampen. Nicht wenige im Magistrat hatten dem Licht von Anfang an noch weniger vertraut als den Einsteins selbst.
    Alois Ansprenger verlangte einen Ausgleich. Er wollte Geld.
    »Wenn auch«, wie er Petuel wissen ließ, »nur aus Prinzip.«
    Und Jakob und Hermann hatten nächtelang neben ihren Frauen wach gelegen. Als schließlich sogar Albert morgens lustlos bemerkte, sie sähen müde aus, hatten sie sich Petuel offenbart: Bei einer Nachforderung wären sie pleite und könnten nicht zu Ende bauen. Sie würden München dann verlassen.
    Petuel warf sich auf der nächsten Sitzung des Magistrats wieder für sie ins Zeug: »Sogar die Hoheit dieses Hauses und die Klarheit seiner Vertragsangelegenheiten«, rief er in den gekalkten, kalten, von Pechlaternen flackernd beleuchteten und von verbrauchter Luft und nassen Mänteln säuerlich riechenden Saal: »helfen wenig gegen den gemeinen Frost.«
    Das war Mitte Januar gewesen, vor vier Wochen. Jakob und Hermann hatten als Gäste hinten gesessen. Hermann hoffte, nicht selbst sprechen zu müssen. Selbst sprechen zu dürfen, hoffte Jakob. Er gab wichtige Dinge nicht gern aus der Hand.
    Die Versammlung begegnete Petuel stumm und erwartungsvoll, was Petuel irritierte. Er hatte mit Gemecker und Nörgelei gerechnet, wie es vorher auf dem Gang zu vernehmen gewesen war. Auch auf eine scharfe Polemik war er vorbereitet, er hätte sie zur Abstimmung gestellt wie eine Gewissensfrage und seinen Rücktritt angeboten. Er hätte beleidigt getan. Das konnte er sich leisten. Aber nichts kam. Die Versammlung schwieg.
    Das war gefährlich, dachte Petuel, der seine Schwabinger in den ersten Reihen zu gut kannte, um sich auf sie zu verlassen. Aus den Reihen lugten links und rechts mit Lehm beschmierte Stiefel, und Petuel sah die ordentlichen Jackenärmel auf den Tischen darüber liegen. Er wartete auf einen Zwischenruf. Vergeblich. Nur Husten. Einer zog Rotz hoch, Petuel konnte nicht ausmachen, von wem es kam, wusste nicht, ob es eine Meinungsäußerung war.
    »Gerade den Unbilden der Natur«, sagte er deshalb in den bis auf die Nebengeräusche ungewohnt stillen Raum hinein, und seine Stimme kratzte und klang in seinem eigenen Ohr eigenartig hoch, als er fortfuhr: »gerade dem Frost wollen wir mit der elektrischen Anlage, die niemals einfrieren kann, die niemals vom Sturm ausgepustet werden kann, die nie in Brand gerät, mit der«, er musste unpassend Luft holen und glaubte, dass jeder das merkte, bevor er schloss: »mit der wollen wir dem elenden Wetter doch begegnen!«
    Schweigen.
    Plötzlich rief er: »Männer!«
    Er machte eine Pause, sah in die stumme Runde.
    Langsam holte er neue Luft, seinen Groll über die Gleichgültigkeit unterdrückend, bevor doch die Wut kam.
    »Um den letzten Schritt handelt es sich jetzt«, erklärte er, »um unseren gemeinsam zu gehenden letzten Schritt, dem sich Frost und Winter in gewohntem Starrsinn entgegenstemmen, wie sich die Natur immer gegen den Menschen gestemmt hat, als sei es ihre einzige Aufgabe! Wollen wir uns wirklich aufhalten lassen? Wenn wir uns wegen ein paar Tagen Verzögerung untereinander verstreiten, wenn wir der Firma Einstein schon wieder mit dem Bankrott

Weitere Kostenlose Bücher