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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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das Sattelpferd den Schwanz hob. Das Bild von dem, was dampfend folgte, breitete sich mit einer in einem Keller in Potsdam gerade frisch vermessenen und nach Alberts Meinung zwar erst mal wahnwitzig klingenden, am Ende aber doch einfach auch nur sehr hohen Geschwindigkeit nach allen Seiten aus. Es durchdrang Jakobs Augäpfel und traf, auf dem Kopf stehend, seine Netzhäute. Von da raste es vergleichsweise langsam über seine zweiten Hirnnerven zum Chiasma opticum, wo rechte und linke Seiten der beiden Abbilder des Skandals für beide Gehirnhälften neu sortiert wurden, um sich, ohne nach Erlaubnis gefragt oder zu viel kostbare Zeit verloren zu haben, ins visuelle Gedächtnis weit hinten im Großhirn des Fabrikanten zu bohren.
    Dass niemand das ahnte, machte gar nichts.
    Am Minenspiel seines Onkels las der mit »unmenschlich viel Intuition« beschenkte Albert ab, wie das mittlerweile wieder auf den Füßen stehende Bild das Geruchszentrum seines Onkels stimulierte: Jakob rümpfte trotz geschlossenem Fenster die Nase. Einen Motorwagen brauchte Jakob Einstein, weil der nicht stank.
    »Mein Gott«, murmelte er resigniert oder wütend, und Albert ergänzte im Stillen für sich: »ist überall.«
    Das behaupteten die Lehrer seiner Schule.
    »Eine Minute«, sagte Hermann auf die schon beinahe vergessene Frage, ob man losführe, in Alberts Richtung. »Geh schon mal runter.«
    Und Pauline ergänzte, nachdem sie dem Jungen offenbar auch mit Lichtgeschwindigkeit, nämlich ohne dass die Männer es gemerkt hätten, die Socken gewechselt und Schuhe angezogen hatte, die Anordnung mit einem Befehl, in dem »Mantel« und »Schal« vorkamen.
    6 Albert Einstein
    Mit beidem ausgestattet hüpfte Albert die schmale, schon zwei Jahre nach ihrem Bau in der Mitte ausgetretene Treppe hinunter, indem er immer eine Stufe ausließ, die nächste mit dem linken Fuß nahm und den rechten kaum zeitlich versetzt auf die übernächste setzte: ta-tam, ta-tam. Er würde sich »eines Tages die Haxen brechen«, behauptete seine Mutter immer. Sie ahnte nicht, wie leicht er war, auch nicht, wie sehr er die Genauigkeit liebte und wie leicht sie ihm fiel. Nie würde er sein wie seine Mutter.
    Draußen atmete er froh die kalte Luft ein. Das Sonnenlicht war fast weg, die an der Hauswand befestigte Bogenlampe brannte, vom Dynamo im Haupthaus gespeist, mit ihrem knisternden Geräusch. Albert tippte mit der rechten Fußspitze immer auf die Mitte eines Kopfsteins, mit dem linken Fuß trat er immer so auf zwei, dass die Rille seinen Fuß genau in vordere und hintere Hälfte teilte und er dabei auf keinen weiteren Stein trat.
    »Hast dich verletzt?«, fragte Höchtl wegen des asymmetrischen Gangs. Albert schüttelte den Kopf und wies fragend auf die Berline.
    »Bitte«, sagte Höchtl und wandte sich wieder der Flanke des Braunen zu.
    Albert blieb aber noch bei ihm stehen. Er mochte Höchtl. An den Nachmittagen ging Albert oft in die Halle, um ihm bei der Arbeit zuzusehen. Höchtl sagte Sachen wie gestern, als er meinte, dass er den Strom noch immer nicht möge. Da hatte er gerade einen gewischt bekommen, eine elektrostatische Entladung, ungefährlich, aber unangenehm.
    »Der Strom mag uns auch nicht recht«, hatte er wie zur Entschuldigung angefügt, »sonst würde er sich öfters zeigen.« Und nach einer Weile, in der er mit Fett am Ringschmierlager hantiert hatte: »Was ich nicht sehen kann, ist mir halt nicht geheuer.«
    Seitdem hatte Albert überlegt, was man alles nicht sehen konnte. Das Magnetfeld natürlich, das den Kompass bewegte. Die Luft konnte man nicht sehen, es sei denn, sie flimmerte wie im Sommer. Man atmete sie trotzdem einfach so ein.
    Es gab noch viel mehr Unsichtbares: Wasser. Im Prinzip unsichtbar wie Luft, alle tranken Unmengen und laut dem Apothekenblatt, das in der Küche herumlag, doch immer zu wenig. Für Albert waren auch England und Frankreich, von denen die Erwachsenen immer sprachen, unsichtbar. Sein Onkel war aber schon mal auf der Elektrizitätsausstellung in Paris gewesen, was seinem Lehrer nach für Frankreich dasselbe war wie München für Bayern. Albert sprach es gern vor sich hin: Elektrizitätsausstellung. Er wiederholte das Wort stumm, eine Lautmalerei im Kinderkopf mit allen Variationen der Betonung: Mal zog er das E am Anfang lang, mal das u am Ende, mal ein i , bis das Wort von allein und ohne Bedeutung durch seinen Kopf hallte.
    Dann brachte er sich bei, es rückwärts auszusprechen: Gnulletssuas-Tätizirtkele. Er

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