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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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große Miasma. Er bekam das Geld binnen sieben Tagen und baute mit einigen Millionen Backsteinen die größten Kanäle, von denen man annehmen konnte, dass London sie brauchte: »Wir machen dies hier«, sagte er, »nur ein Mal.«
    In den Sechzigerjahren wurde er damit fertig, und die letzten Cholerafälle traten auf, bevor man die letzten Lecks gefunden hatte, die es den Abwässern erlaubten, ins Frischwasser zu gelangen. Man filterte es nun in Sandfallen. Dann war nach der Angst vor dem Atmen auch mit der vor dem Trinken Schluss. Selbstsicher und mit dem Blick nach oben, wo er sich noch immer wohler fühlte als hier unten, predigte Whitehead: »Ein Wunder ist geschehen.« Das Geniale an ihm war: Er benannte das Wunder nicht weiter, und so behielt er mal wieder Recht.
    Statt der Bakterien rasten die ersten Untergrundzüge in ebenfalls ausgehobenen, konisch gemauerten und wieder zugeschütteten Röhren durch die Stadt, oder musste man sagen: unter der Stadt hindurch?
    Um darin eine Sünde zu erkennen, fehlte Whitehead die alte Forschheit. Er zögerte, bis es zu spät war.
    3 Wege und Abwege
    William Thompson hatte James Clerk Maxwell die gewünschte Liste zukommen lassen, und der Student hielt Faradays Einsichten und seine Intuition für so vollkommen und unerreichbar, wie ihn die mangelnde Ausarbeitung, Verallgemeinerung und Schlussfolgerung wunderte. Seine erste Arbeit über die Kraftlinien schrieb er 1857.
    Faraday lebte noch. Er hatte seine Zeit im Keller, an verschiedenen Ortschaften der Küste und sehr viel im Bett zugebracht. Bei grundsätzlich frohem Ton nahmen seine Klagen ernsthafteren Charakter an. Gute Luft, stellte er fest, half nicht mehr gegen Drehschwindel und Vergesslichkeit. Seine Ärzte verordneten ihm, wie alle Ärzte aller Zeiten es gern taten, nichts als Ruhe, denn sie sahen nichts als Erschöpfung, obwohl völlig unbekannt war, dass man sich von bloßer Erschöpfung nicht erholen können sollte.
    Erkenntnisse hielten sich nicht mehr von einem Tag zum anderen, täglich fing Faraday wieder von Neuem an. Notizen halfen nicht.
    »Arbeiten und denken zu dürfen«, so verstand es Faraday, »dieses Privileg ist mir verboten worden.« Sie wollten ihn auch zum Wegzug aus London bewegen, was niemals infrage kam: Weg vom Laborgeruch! Freunde, Gedanken, Erlebnisse entglitten ihm. »Ramsgate?«, konnte er fragen, unsicher, in welchem Leben er dort gewesen war. Erst dann fiel es ihm wieder ein, oder er nahm zumindest an, den Ort zu kennen, wie man glaubt, eine Erinnerung aus der Kindheit zu haben, obwohl es doch nur eine an die oft wiederholte Erzählung der Eltern ist oder eine schnell selbstkonstruierte Fiktion. Nichts war mehr unterscheidbar.
    Jede Arbeit, die er schrieb, hielt er für die letzte, und dankbar für die Gesundheit, die Kraft und das Glück, das er erlebt hatte, hoffte er doch auf die eine oder andere kleine oder vorübergehende Besserung. Er benannte, was ihn ausmachte: Konfusion, Dummheit, Scham.
    Dr. Latham hatte gegen den entzündeten Hals und die Schwäche nichts Wirksames anzubieten. Von Briefen, ob er Adressat war oder Absender, wusste Faradays nichts, und im nächsten Moment begeisterte er sich für die atmosphärische Elektrizität, die Lambert-Adolphe-Jacques Quetelet in Belgien untersucht hatte. Besonders, dass der Kollege nur Fakten nannte, ohne eine Meinung zu äußern, machte ihn glücklich, denn Fakten seien für die Ewigkeit, Meinungen dagegen änderten sich wie Wolkenformationen am Himmel von London. Ob Quetelet übrigens die isolierende Wirkung eines metallenen Käfigs kenne?
    Als ob er sich daran gewöhnen könnte wie an sein ewiges Zahnfleischbluten, lebte er seit Jahren mit Zahnschmerz. In einer Sitzung ließ er sich fünf Zähne auf einmal ziehen, wobei ein Stück vom Kiefer abgebrochen sein musste, denn es tat »sehr weh«. Er fror ständig. Erkältungen blieben wochenlang, ohne jede Besserung. Sein Kopf war »recht instabil«. Er hatte versucht, die Zähne noch durch die Vorlesungen halten zu können, aber jetzt war Artikulation nicht mehr leicht, und noch drei weitere Zähne mussten raus. Die Hände blieben nicht mehr still. Ein Freund vermutete irritierte Nerven im Genick. Wenn Faraday, als Junge noch Meister im Schnellreden, in normale Konversationen geriet, in denen Themen wechselten oder die Gesprächspartner, war das übermäßig anstrengend. Ihm wurde davon schwindlig, Konfusion breitete sich aus und erzeugte Unsicherheit.
    Während der Aufenthalte an der See,

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