Die Entdeckung des Lichts
die einfach nur da waren, um sich ihm zu zeigen, jedes Mal wie zuvor und jedes Mal neu.
Er lachte.
Immer wenn er einen noch so kleinen Teil Leben überblickte, wenn er die Tage auseinanderhalten konnte und sich mit einer Übersicht von einer oder zwei Seiten im Tagebuch blättern oder schreiben sah, lief er schon Gefahr, in Hochstimmung zu geraten.
Auch wenn er mit Sarah zur Erholung in Brighton spazieren ging, überspülten ihn schnell angenehme Gefühle. Das letzte Mal war er enthusiastisch gewesen, als er aufs Meer blickte und die Meerluft atmete. Fast hätte die Begeisterung über das gemeinsame einfache Dahinschlendern und die Aussicht auf einige gute Tage ihn auf der Strandpromenade Freudensprünge machen lassen. Wie ein Clown. Warum eigentlich nicht? Nur ein gleichzeitig auftretender Drehschwindel und sein Respekt vor Sarah hielten ihn zurück. Aber dass jeder noch so vage Arbeitsplan in Begeisterung mündete, genoss er, wie damals im Brief an Abbott, als er jung genug war, um keine Grenze zu sehen. Nur größer als damals war das Hochgefühl jetzt, und brüchiger war es, abgründiger: Spontane Euphorie war auch eine Folge des Gifts.
Es hatte allem etwas an, nur seiner Liebe nicht. Als er zurück war und die Tür der Royal Institution aufschloss, wusste er nicht, ob eine Stunde vergangen war oder zwei. Aber dass seine Liebe ihn beim Eintreten in das Gebäude, beim Atmen seiner Luft umarmen würde, war sicher.
»Morgen«, dachte er plötzlich ganz klar. Morgen würde er die Gasgesetze sein lassen. Er würde den Brief von Thompson noch einmal lesen, und würde beweisen, was niemand für möglich hielt: dass Licht magnetisch war. Es würde eine Revolution sein, obwohl er so nicht dachte. Er wollte die Welt noch einmal berühren, ein letztes Mal, wollte sie endgültig verändern, vierundvierzig Jahre bevor Hermann und Jakob Einstein mit nichts als seinen Entdeckungen Schwabing, die Nachbarstadt Münchens, elektrisch beleuchteten, damit die Bürger jubelten und johlten, die Journalisten dichteten und die Politiker mit den Lampen um die Wette strahlten.
I
Aus dem Dunkel
1 James und Margaret Faraday
Im Sommer 1812 war Faraday einundzwanzig. Er war geküsst worden. London hatte er noch nie verlassen. Das Meer kannte er nur vom Hörensagen und von einem Ölgemälde, das im Hinterzimmer von Riebaus Buchbinderei hing, in der er es nach einem Jahr als Laufbursche bis zum Lehrling gebracht hatte.
Das Gemälde zeigte sechs oder sieben Segelschiffe auf einer um ein Pier tosenden Wassermasse, der ein Schiff, egal welcher Größe, sich nur hingeben konnte. Einmal, als er auf eine Anweisung wartete, hatte Faraday das Bild betrachtet und war mit den Augen an den gewaltigen Bewegungen von Himmel und Wasser entlanggefahren. Einer von Riebaus Kunden, der über dem Laden wohnende französische Maler Masquerier, kam dazu und meinte, das Bild sei nur eine Kopie.
»Ich habe das Original einmal gesehen. Im Atelier des Künstlers.« Es sei wirklich beeindruckend.
Faraday hatte überlegt.
»Hast du schon einmal von Turner gehört?«
Hatte Faraday nicht.
»Wirst du schon noch«, meinte Masquerier.
Faraday sah weiter das Bild an.
»Also, wichtig ist«, wiegelte Masquerier dann großartig ab, »dass es den Ort zeigt, an dem England sich täglich aufs Neue beweist.«
Faraday hatte nicht gefragt: Beweist? Er hatte den Mann nur fragend angesehen.
»Gegen seine vielen Feinde beweist«, sagte der, und er sagte es zufrieden.
Faraday wunderte sich über seine Zufriedenheit und war froh, hier zu sein und Männer wie ihn zu treffen und solche Dinge sagen zu hören. Er selbst hatte keine ihm bekannten persönlichen Feinde. Welche zu haben, war für ihn ein fremder Gedanke.
Mit dreizehn hatte er die Schule verlassen, um Geld zu verdienen. Das war ein Alter, in dem fast alle anderen Kinder die leise Hoffnung, einmal Lesen und Schreiben zu können, aufgegeben hatten und sich sagten, dass mit Lesen und Schreiben das Leben sowieso nur noch komplizierter geworden wäre als ohne. Das fand Faraday, zu dem Lesen und Schreiben von alleine gekommen waren, gar nicht. Dass er überhaupt auf eine Schule gegangen war, hatte mit der 1788er Dürre zu tun.
Die Ehe seiner Eltern war im abgelegenen Westmorland geschlossen worden wie die Ehen ihrer Eltern und Großeltern und Urgroßeltern. Sie hofften auf Gelingen, ließen einen anderen Gedanken nicht zu. In Outhgill besaßen sie eine Schmiede. Im wenige Meilen nördlich gelegenen Kirkby Stephen
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