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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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wütend werden, nicht wütend ...
    Er nahm die Feder, beim Eintauchen ins Tintenglas schlug sie viermal an, dann setzte er sie auf das Papier.
    »Meine liebe Lady Lovelace«, sah er die Feder schreiben und brachte immense Kraft auf, um seine Handschrift flüssig und gerade hinzubekommen. Er setzte ab und wieder an, und bei jedem anderen würde man an dieser Stelle sagen, dass er sich nun ein Herz fasste. Aber Michael Faraday hoffte nur, wenn er die Augen schloss, für einen Moment die Reste seiner Persönlichkeit zu fassen zu kriegen, um der Frau, deren Name sein erster Biograf noch durch einen Strich ersetzte, um sie verschämt eine »Dame von höchstem Talent« zu nennen, ein paar möglichst freundliche Worte zu übermitteln.
    Statt den Brief mit einem Datum zu versehen und mit weit ausholenden Respektsbekundungen und Treueversicherungen zu beginnen, atmete Faraday angespannt aus und wieder ein und begann zu schreiben, was den Abbruch aller Kontakte nach sich ziehen sollte: »Meine liebe Lady Lovelace«, schrieb er, »Sie treiben mich mit Ihren Einladungen in die Verzweiflung.«
    Er machte eine neue Pause, und mit hochgezogenen Brauen wartete er geduldig darauf, dass gleich für einen kurzen Moment die diffuse Erregung abebben würde, die keine Richtung hatte, und die er in den Briefen an die Freunde Konfusion nannte. Sie trennte ihn vom Leben der anderen: Längst waren seine Tage Irrläufe, sein Leben eine Reise, deren Verlauf jemand auf ein knittriges, jederzeit zerreißbares Stück Papier gekritzelt hatte, in das seine widerstreitenden Gedanken Löcher bohrten.
    Geblieben war ihm die Geduld. Mit ihr wartete er jetzt auf den Impuls, den Brief fortzusetzen. Denn der Impuls würde doch kommen. Immer war es bislang so gewesen.
    Er musste möglichst gelassen bleiben beim Warten, denn auch das Warten verbrauchte kostbare Energie. Er durfte den richtigen Augenblick nicht verpassen. Jetzt: In dem Brief würde er ihr absagen, dachte er, natürlich. Er sah seine Hand schreiben: »Ich wage nicht zu kommen und werde nicht kommen ...«, und er passte auf, gleich weiterzuschreiben, »... und ich empfinde es dennoch als unmöglich, Ihnen diesen Wunsch abzuschlagen.«
    Jetzt nicht zurückgehen, sagte er sich, nicht nachdenken, weiterschreiben ist wichtig, und er schrieb mit zitternder Hand: »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen antworten soll: Und glauben Sie nicht, dass meine Versuchung die Oberschicht ist, denn es ist ganz allein Ihre Freundlichkeit, die mir das Gefühl gibt, einen schlecht begründeten Rückzieher zu machen, und«, ja, »es sind allein Sie, wegen der ich gekommen wäre.«
    Ohne es zu bemerken, atmete er heftig aus und schloss: »Vergeben Sie mir und glauben Sie mir.« Schnell unterzeichnete er: »Dankbarst, Ihr M Faraday.«
    Er hatte »Oberschicht« unterstrichen und »allein Sie«.
    Jetzt legte er die Feder weg. Geschafft! Er faltete das Papier zusammen, ließ Wachs auf die Stoßkanten fallen, und als er beim dritten Versuch getroffen hatte, presste er sie aufeinander. Diese Leere jetzt. Wäre doch der Laufbursche schon da und mit dem Brief wieder weg!
    Wie Faraday nicht genau hätte wiederholen können, was in dem vor ihm liegenden Brief stand, wie er nicht hätte ausschließen können, dass er aus Versehen wieder mit W Faraday gezeichnet hatte oder mit F Maraday, so war er nicht sicher, ob er morgen oder in einer Woche würde sagen können, ob er überhaupt geschrieben oder sich vielleicht doch nur vorgenommen hatte, es zu tun. Faraday wischte sich mit der rechten Hand über das Gesicht. Nichts war zu ändern.
    Er stützte den Kopf auf die Hand. Es klopfte: Sarah.
    Ob er nicht käme.
    »Doch. Wie spät ist es?«
    Draußen war es längst dunkel.
    »Zehn durch.«
    »Gleich.«
    Sarah nickte und verschwand wieder. Sein Blick strich über die Utensilien des Labors, eine Landschaft aus beseelten Geräten, Kindern gleich, die mit unverständlicher Disziplin darauf warteten, seine Wünsche zu erfüllen. Dann stand er auf, warf sich seinen Mantel über und ging aus dem Haus. Theoretisch hätte Sarah ihn von oben die Straße hinunter Richtung Piccadilly laufen sehen können.
    Er sog die Luft durch Nase und Mund in die Lungenflügel und freute sich über jeden zurückgelegten Meter. Sein Geist klarte an der frischen Luft etwas auf. Er dachte an den kommenden Tag, den er im Frieden seines Kellers verbringen würde, allein mit den Gasgesetzen, die ihm nie unberechtigte Vorwürfe machten, ihn nie zu etwas zwingen wollten,

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