Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
Vom Netzwerk:
sie durchschwammen wie Treibholz einen Fluss. Sie war es jetzt, die in ihm verschwunden war, und niemand wäre je auf die Idee gekommen, das anders zu denken: Ihr genügte seine Schlaflosigkeit, die sie seiner Arbeit zuordnete, und sie sah es als ausreichend an, das »Kissen seines Geistes zu sein«.
    Samstags brachte er sie zu ihrer Familie, in der er ein »vollständiges Mitglied« zu werden sich bemühte. Dass die Magnetnadel, ließ er nicht ab zu denken, sich ausgerechnet rechtwinklig stellte: kurios. So kurios, dass man hätte platzen können. Wo war der Trick, der zeigte, dass nichts Ungewöhnliches daran war, sondern nur Folgerichtiges? Man musste es anders denken als bis jetzt, wenn man es komisch fand, dass sie sich rechtwinklig stellte und nicht parallel. Etwas daran musste man anders denken. Rechtwinklig war ja richtig, das hatte Gott so gewählt.
    Monatelang widmeten sich Davy und Wollaston dem Konflikt. In Berlin zerschlug sich Humboldt den Kopf daran oder versuchte es. Aus Leipzig sandte Ludwig Wilhelm Gilbert die Annalen der Physik , die voller Erkenntnisse zum Magnetismus der Elektrizität seien, welche die Engländer, so Gilbert mit mittelmäßig verhohlenem Unwillen, leider konsequent ignorierten. Faraday bedankte sich und gelobte Besserung. Zum Deutschlernen sei er leider zu alt.
    Als Bestätigung der Weltlogik, wie er sie seit dem Lesen der Rede Davys in der Times kannte, nahm er den Tod Buonapartes in englischer Gefangenschaft zur Kenntnis: »Er war seit Mitte März krank gewesen, zwei Wochen ernstlich, Anfang Mai ist er gestorben«, erzählte Wollaston am 4. Juli mit dem Finger in der Westentasche eingehakt morgens im Flur vor dem Vortragssaal, wo er, als Faraday zur ersten Pause aus dem Keller kam, mit Davy zusammenstand.
    »Das Fett auf seinem Bauch hatte eine Stärke von eineinviertel Inch«, wusste Davy amüsiert, »auf seinen Lippen hat ein Lächeln gelegen, das sich der wachhabende Offizier schöner nicht vorstellen konnte.«
    Der Magen, schrieben die Zeitungen, sei vom Krebs fast vollständig zerstört gewesen und die Leber so groß und nah am Magen, dass man sie bei der Obduktion habe wegschneiden müssen. Mehrfach habe Buonaparte seine große Zufriedenheit über den Aufenthaltsort und seine Behandlung zum Ausdruck gebracht, hieß es, während andere von einem abgemagerten ehemaligen Eroberer berichteten, der den Tod habe kommen spüren, wie er ihn schon bei seinem Vater hatte mit ansehen müssen.
    Er hatte sich die Uniform des Feldmarschalls anlegen lassen, Stiefel und Sporen hatten nicht gefehlt, um auf dem letzten Bett die Passion noch einmal zur Schau zu tragen, bevor er erstarrte.
    »Das spart England im Jahr vierhunderttausend«, sagte Davy besonders liebevoll, und an den Straßenecken fielen noch einige Bemerkungen über Buonapartes Charakter, seine Intelligenz und was er mit ihr gemacht habe.
    Faraday hatte sein Laborbuch zu führen begonnen. Bis zum Sommer 1821 war er mit chemischen Aufgaben beschäftigt und mit dem Ignorieren des Unkrauts in seinem Kopf, in das sich erste Triebe größerer Pflanzen gemischt hatten. Sie wuchsen, ohne nach Erlaubnis zu fragen. Er empfand es als normal, dauernd seine Gedanken sortieren und Umwege gehen zu müssen und davon erschöpft zu sein. Er kannte ja nichts anderes.
    Die Tretpfade von gestern und vorgestern waren heute zugewuchert, gehen konnte man im Garten der Gedanken kaum noch, es war eher ein Klettern. Neue Eindrücke sackten nur langsam, schrittweise in sein Bewusstsein, als müssten sie erst immer wieder an den Gabelungen seines wilden Geistes anstehen, bevor sie weiterdurften. Dass er auch die Treppen in der Institution langsamer ging, im Rhythmus eines zwar instinktiv aber umso penibler Haushaltenden, bemerkte er auch nicht: Alles, was schleichend sich ändert, erscheint stabil. Vor allem, wenn man das wünscht. Und Faraday wünschte. Er wollte ans Ziel.
    Im Sommer bat Richard Phillips um einen Bericht über den Elektromagnetismus, wie er mittlerweile genannt wurde. Phillips war ein alter Freund aus der Dorset Street und mittlerweile Herausgeber der Annals of Philosophy , wo er sich einen Überblick über den Stand der Forschung dargestellt wünschte. Ampère hatte Bewegung in die Debatte gebracht, indem er feststellte, dass ein zur Spule gewickelter Draht sich wie ein Magnet verhielt, wenn Strom floss. Das hieß: Die Spule war ein Magnet. Zwei Spulen verhielten sich dementsprechend wie zwei Magnete, und, noch einfacher, auch zwei

Weitere Kostenlose Bücher