Die Entdeckung des Lichts
Drähte taten das. Wollaston meinte deshalb, dass der Strom im geraden Draht sich auf einer Spirale bewegte.
Strom, dachte Faraday, auf einer Spirale.
Hielt man die Ørsted’sche Magnetnadel fest, dann musste der Draht ausweichen, also: sich ausrichten. Alle fragten sich, wie er das wohl tat, wie diese seltsame Kraft aussah. Dazu musste man den Draht parallel zum Magneten stellen. Wollaston hatte, meist allein, manchmal mit Davy, Versuche dazu gemacht. Sie hatten die Kraft auf den Draht wirken gesehen. Sobald Strom floss, hatte er sich, nicht ganz gerade und rund, wie handgemachte Drähte eben waren, gewunden und bewegt, und einmal hatte es ausgesehen, als drehte er sich am liebsten um sich selbst und würde nur von den Zuleitungen der Batterie daran gehindert. Das jedenfalls reimte sich Faraday zusammen, der einmal zufällig ein halbes Gespräch zwischen Davy und Wollaston vor dem Labor mitgehört hatte.
»Das würde«, meinte Wollaston damals, »Sinn ergeben.«
Interessant war das, und die Londoner Buchmacher schlossen Wetten darauf ab, dass Wollaston das Rätsel bald lösen würde.
Aber wenn Faraday, ohne den Draht vor Augen zu haben, darüber nachdachte, dann war eine Rotation um die eigene Achse irgendwo im Raum neben dem Magneten eines: verdammt ungelenk. Wie sollte eine Kraft aussehen, die von einem Stabmagneten senkrecht in den Raum greift wie eine Hand oder wie zwei Finger, die einen Draht um seine eigene Achse drehen? Eine Kraft war immer noch etwas Gerades, Effizientes, Schönes.
Die Eisenspäne fielen schließlich auch in einem symmetrischen Bild auf geraden Linien um den Magneten herum. Was bedeuteten sie? Das Kraftfeld des Magneten griff aus ihm heraus, war keineswegs auf den Körper des Magneten beschränkt.
»Wie soll das Magnetfeld wissen, wo rechts und links vom Draht ist, damit es nach Wollaston richtig herum dreht?«, fragte er Sarah, die lächelte und die Wollaston mochte und sehr, sehr ernst nahm.
»Woher weiß das Magnetfeld, dass es vor oder hinter dem Draht ist?«
Sarah lächelte, wie früher Margaret gelächelt hatte.
»Oder umgekehrt: Woher weiß der Draht, was vor und was hinter dem Draht ist? Woher weiß der Draht, wie herum er die Magnetnadel drehen möchte?«
Sarah tischte auf.
»So was gibt es sonst nirgends.«
Sie aßen.
»Wir wissen wirklich gar nichts darüber.«
Nach dem Essen ging Faraday, was total unüblich war, spazieren. Hände in den Manteltaschen, Fußspitzen abwechselnd in den Kegel gestoßen, den man beim Versuch, möglichst wenig seiner Umgebung beim Laufen wahrzunehmen, nicht zu sehen verhindern kann. Auf der Blackfriars Bridge blieb er stehen, legte die Hände auf das Geländer und sah Richtung Westen, hinter dem Horizont waren Ramsgate und Dover, dann sah er hinunter, unter ihm stand die trübe, dreckige Brühe der Themse, dann drehte er sich um, sah nach Osten und stützte die Ellbogen auf das Geländer hinter sich. Er sah nach oben. Vor dem Himmel mischten sich Rauch und Wolken, die sich wie launisch trennten oder neu ineinanderschoben und sich wieder verbanden, immer so, wie er es gerade nicht erwartete. Er hatte Herzklopfen und konnte die Euphorie in seinem Kopf nicht gutheißen. Es ging nur um die Bewegung des Drahtes, viele Möglichkeiten gab es nicht, und das Herzklopfen war zu nichts gut. Mit Trauer dachte er an seinen Vater, mit Nachsicht an De la Roche, neutral an Sir Humphry und nicht ohne Rachlust an Lady Davy. Das mochte er nicht.
Er wusste, dass es etwas zu verstehen gab, etwas zu sehen, das noch niemand gesehen hatte, obwohl es immer da war, immer schon da gewesen war und immer bleiben würde und vermutlich auch leicht zu sehen war. Er wusste, dass es Lust hatte, sich ihm zu zeigen, ausgerechnet ihm: Er glaubte das. Wäre er bloß nicht so aufgeregt! Er müsste sich würdig erweisen, natürlich wusste gerade er das sehr gut. Er würde in Ruhe schauen müssen, sich dem Neuen hingeben müssen, ganz von sich absehen dabei, sich zur Verfügung stellen, um zu empfangen. Es würde einfach sein, simpel, man würde sich später an den Kopf schlagen wollen, dass man es nicht vorher gesehen hatte. Es würde von einer Simplizität sein, die gefangen nehmen würde. Er war erschöpft, alles im Kopf war Lärm, und er beschloss, erst am nächsten Tag wieder darüber nachzudenken.
Auf dem Weg unten am Fluss entlang, unterhalb der Stadt, fiel ihm noch einmal neu ein, dass es leichter sein würde, dem Draht Bewegungsfreiheit zu geben, als dem Magneten.
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