Die entführte Braut: Wenn die Braut sich traut (German Edition)
wiedererweckt, die immer in einem Winkel ihres Herzens geschlummert hatten.
Sie liebte seine Zärtlichkeit und seine spontanen Einfälle. Seine dunkle Seite jedoch hatte sie nie verstanden, jenen Teil seines Charakters, der die Gefahr liebte, der nach Mutproben lechzte, um seine Stärke und seine Ausdauer zu beweisen.
Sie sah den Aussichtspunkt vor sich auftauchen. Fast nichts hatte sich in all den Jahren verändert. Die steile Felswand war von immergrünen Bäumen und Pflanzen gesäumt. Die Schlucht war ein tiefer Einschnitt zwischen zwei Bergen, ein reißender Bach floss hindurch. Auf der anderen Seite der Schlucht sah sie die Rennstrecke. Es war eher das Becken eines Wasserfalles als ein Pfad, steil, mit vielen Kurven und voller Felsbrocken. Und dann war da natürlich der verhängnisvolle Abhang, drohend und fast senkrecht in die Tiefe führend, wo nichts außer der widerstandsfähigsten Vegetation wachsen konnte.
Isabel war stehen geblieben und betrachtete den Rennkurs. Gary setzte den Adler auf den Boden. Der Himmel war hell und klar. Wind erfüllte die Luft mit einem leisen Sausen und Rauschen. Und dann hörte sie es.
Ein dumpfes Brummen und Röhren kündigte die Ankunft der Rennfahrer an. Die Männer näherten sich der letzten und gefährlichsten Etappe des Rennens.
Da geschah etwas Seltsames. Das Adlerweibchen wurde unruhig, spreizte wieder seine Schwingen und stellte sich gegen den Wind. Dann ließ sich der Vogel von der Kante der Klippe ins Leere fallen. Isabel schrie erschrocken auf, und Gary lachte überrascht, nahm aber sofort seine Kamera vors Auge.
Zunächst schien das Tier einfach nur hilflos herunterzustürzen – ein schrecklicher Anblick. Aber dann fuhr eine Windbö unter seine Flügel. Mit einem lauten Schrei begann der Adler die Flügel zu bewegen und zu schweben. Schließlich glitt er hoch über dem Tal dahin, das inzwischen vom Donnern des Motorräder erfüllt war.
Dan kam sich ein wenig töricht in der Windjacke mit dem Firmen-Emblem der Weinkellerei „Yakima Valley“ vor. Es war eine weiße Jacke, und er hatte noch nie Weiß getragen. Außerdem war der Reißverschluss nicht in Ordnung. Aber dafür, dass er für die Weinkellerei Reklame fuhr, bekam er von der Firma beträchtliche Rabatte beim Weinkauf für sein Hotel sowie etliche andere Vergünstigungen.
Die anderen Fahrer hatten ähnliche Jacken an, sodass man nicht nur ihre Startnummern darauf las, sondern auch Werbung für Mehl und Motoröl.
Dan wusste, dass er dieses Rennen gewinnen konnte. Er musste es, denn er brauchte den Siegespreis. Aber er fuhr heute auch schnell wie der Wind. Es war einfach einer seiner guten Tage.
Das Cross-Country-Motorrad, das kleiner und wendiger war als seine Harley, schien wie für seinen Körper konstruiert und reagierte fantastisch auf jede seiner impulsiven Bewegungen. Fast konnte er bei dieser Fahrt Isabels Gesicht vergessen, als er sich in der Hoffnung von ihr zu verabschieden versuchte, dass sie ihm Glück beim Rennen wünschen würde.
Das hatte sie nicht getan.
Der Nervenkitzel der Gefahr erfüllte seinen Mund mit einer Süße, die bei den Gedanken an Isabel bitter wurde.
Offenbar unterstellte sie, dass er nur deshalb nicht auf die Teilnahme am Rennen verzichtet hatte, weil er immer noch Angst vor einer festen Bindung hatte und sich von Neuem vor einer Entscheidung für ein gemeinsames Leben drücken wollte. Er hätte ihr gerne gesagt, dass sie sich da irrte. Aber irrte sie sich wirklich?
Er biss die Zähne zusammen und fuhr auf die letzte, gefährlichste Etappe des Rennens zu. Seine Windjacke, deren Reißverschluss dem Wind nicht mehr standhielt, riss auf und flatterte, während er den mit Felsbrocken übersäten Abhang hinunterschoss.
Auf einmal lenkte ihn eine Bewegung in der Höhe ab. Blitzschnell sah er hoch und war verblüfft. Ein Adler kreiste langsam über dem Tal.
War es das Adlerweibchen, das sie gerettet hatten? Wenn es derselbe Vogel war, dann bedeutete das, dass Isabel jetzt hier war und das Rennen beobachtete.
Die Windjacke flatterte wie verrückt. Dan fluchte, knirschte mit den Zähnen und versuchte, trotz der Störung einen klaren Kopf zu behalten. Er musste nur noch mit seiner Maschine jenen tiefen Felsspalt überspringen, um dann aufs Ziel loszusteuern.
Gleich würde der Sprung durch die Luft kommen, aber dann geschah es, das Verhängnisvolle. Die Windjacke wurde vom Fahrtwind emporgeblasen und legte sich über sein Gesicht, sodass er nichts mehr sehen konnte!
Dan
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