Die Entscheidung
seinen Instinkt zu ignorieren. Daraus hatte er einiges gelernt – und er hoffte, dass ihm das nicht noch einmal passieren würde.
Rapp ging auf das hoch aufragende Old Executive Building in der 17 th Street zu. Er musste sich eingestehen, dass er ein seltsames Leben führte. Er hatte zusammen mit Anna und der Hündin Shirley auf der Couch gesessen, als ein Anruf kam, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass ihn der Präsident sprechen wolle. Rapp erstarrte nicht gerade vor Ehrfurcht und fragte, ob das nicht bis zum nächsten Morgen warten könne. Irene Kennedy antwortete, dass er sofort ins Weiße Haus kommen solle, und legte auf. Sie waren alle miteinander müde und frustriert. Sie hatten eine Spur verfolgt, die nun offensichtlich bei Peter Cameron endete – und Rapp wusste, dass mit jedem Tag, der verging, alles nur noch schlimmer wurde. Er wusste nicht, ob er noch die Energie aufbringen konnte, um dieses gefährliche Leben in dieser Form weiterführen zu können. Und dann war da natürlich noch Anna. Sie würde es nicht akzeptieren, wenn er so weitermachte; sie hatte ihm das zuvor schon gesagt, und die jüngsten Ereignisse würden sie darin nur bestärken.
Es kümmerte Rapp nicht im Geringsten, dass er in Jeans und schwarzer Lederjacke zum Präsidenten ging. Wenn es nicht bis morgen Zeit hatte, dann musste er mit Rapp vorlieb nehmen, wie er war. Während er müde und ausgelaugt die 17 th Street entlangtrottete, fragte er sich, was der Präsident zu so später Stunde noch von ihm wollte. Rapp fürchtete, dass er die Antwort kannte. Der Präsident ließ ihn sicher nicht kommen, um ihm eine Medaille zu überreichen; so etwas gab es in seinem Job nicht. Rapp war so etwas wie eine Geheimwaffe im Arsenal der nationalen Verteidigung. Über das, was Rapp tat, wurde weder in der Öffentlichkeit noch im privaten Kreis gesprochen. Wenn der Präsident ihn jetzt sehen wollte, dann konnte es nur um eines gehen – und Rapp war sich nicht sicher, ob er es akzeptieren konnte. Er war ein Killer, doch er hatte das Töten satt. Es war Zeit, dass sie sich einen anderen suchten. Bei über 250 Millionen Menschen sollte es doch nicht so schwer sein, irgendeinen armen Teufel zu finden, dessen Leben sie ruinieren konnten.
Rapp kam zum Checkpoint des Secret Service an der Westseite des Old Executive Building, wo mehrere Männer Wache standen. »Ich möchte zu Jack Warch«, sagte er.
Einer der Männer von der Uniformed Division des Secret Service sah ihn misstrauisch an, während der andere den Special Agent anrief, der für das Sonderkommando zum Schutz des Präsidenten verantwortlich war. »Da ist ein Mann, der Sie sprechen möchte.« Der Sicherheitsbeamte ließ den Hörer sinken. »Wie heißen Sie?«, fragte er Rapp.
»Mitch Kruse«, antwortete Rapp mit einem seiner Decknamen.
Der Sicherheitsbeamte gab den Namen an seinen Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung weiter. Schließlich legte er den Hörer auf und öffnete das Tor. Er zeigte auf eine Zufahrt, die zu einem Hof in der Mitte des Gebäudes führte. »Sie müssen da lang«, erklärte der Mann. »Special Agent Warch wartet im Hof auf Sie.«
Rapp sagte nichts und ging die schmale Zufahrt entlang. Als er den Hof erreichte, sah er, dass Warch ihm schon entgegenkam. Warch hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht, als er Rapp sah. Es war nicht übertrieben zu sagen, dass Rapp ihm und einigen anderen das Leben gerettet hatte.
»Schön, Sie zu sehen, Mitch«, sagte Warch und streckte ihm die Hand entgegen. »Sie sehen, ehrlich gesagt, beschissen aus.«
»Danke. Ungefähr so fühle ich mich auch«, antwortete Rapp und schüttelte ihm herzlich die Hand.
»Wie geht’s Anna?«
»Gut. Danke übrigens für Ihre Hilfe.«
»Ach, nicht der Rede wert. Ich würde sagen, wir schulden Ihnen noch etwas mehr als das.« Warch ging voraus, und Rapp folgte ihm. »Wie ist es Ihnen so ergangen?«
»Wollen Sie die lange oder die kurze Version hören?«
»Ich fürchte, die lange wäre nicht so ganz für meine Ohren bestimmt. Verdammt, ich dürfte wahrscheinlich nicht einmal die Kurzfassung hören.«
Rapp lachte, als sie das Executive Office Building betraten. »Ach was, ihr Jungs müsst es ja gewohnt sein, etwas für euch zu behalten.«
Plaudernd verließen sie das Gebäude wieder und gingen zum Weißen Haus hinüber. Es war das erste Mal seit dem Terroranschlag im Frühling, dass Rapp das Weiße Haus betrat. Er sah mit Staunen, wie schnell die Schäden am Westflügel repariert worden waren.
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