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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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wirkte. Sie war allein. Alle anderen Passagiere schliefen und hätten genauso gut aus einem Wachsfigurenkabinett stammen können. Neben ihr saß Michael vollkommen reglos da, den Kopf auf Audreys Schulter gelegt.
    Noch während sie ihn beobachtete, riss er die Augen auf und gab einen schrecklichen Laut von sich. Er fuhr hoch, die Hände um die Kehle gelegt, als bekäme er keine Luft.
    »Was ist los?« Audrey war aus dem Schlaf aufgeschreckt. Es gab Zeiten, da benahm Audrey sich so, als liege ihr gar nichts an Michael. Doch jetzt sah das ganz anders aus.
    Michael starrte völlig erschrocken vor sich hin. Jenny bekam vor Angst eine Gänsehaut.
    »Michael, kannst du atmen? Geht es dir gut?«, fragte Audrey besorgt.
    Da holte er endlich Luft, tief und zittrig. Er stieß die Luft wieder aus und sackte in seinem Sitz zusammen, die dunkelbraunen Augen immer noch weit aufgerissen.

    »Ich hatte einen Traum.«
    »Du auch?«, fragte Jenny. Dee beugte sich über ihre Armlehne auf der anderen Seite des Gangs zu ihnen her über. Aus dem Schlaf gerissen sahen auch andere Leute sie an. Jenny mied ihre Blicke.
    »Was war los?«, fragte sie Michael mit leiser Stimme. »Es ging doch nicht etwa um einen Aufzug, oder?« Sie hatte keine Ahnung, was ihr eigener Traum bedeutete, aber sie war sich sicher, dass es etwas Schlimmes war.
    »Was? Nein. Es ging um Summer«, antwortete er und leckte sich die Lippen, als wolle er einen schlechten Geschmack vertreiben.
    »Oh …«
    »Aber es war nicht die ganze Summer. Nur ihr Kopf. Er lag auf einem Tisch, und er hat mit mir geredet.«
    Ein Gefühl unaussprechlichen Grauens packte Jenny.
    In diesem Augenblick stürzte das Flugzeug ab.

Jenny schrie. Aber das spielte keine Rolle. Alle schrien. Dee, die ihren Sicherheitsgurt gelöst hatte, um sich zu Michael herüberzubeugen, wurde so hart nach oben gerissen, dass ihr Kopf fast gegen die Decke knallte.
    Sie stürzten ab, und dieses Gefühl war schlimmer als tausend Fahrten mit dem Aufzug. Unter Jenny sackte der Sitz ab. An was denken Menschen, wenn sie sterben? An was sollte ich denken?
    Tom. Sie sollte an Tom denken und wie sehr sie ihn liebte. Aber es war unmöglich, da war kein Raum für irgendetwas anderes als Angst und Entsetzen.
    Plötzlich schlingerte das Flugzeug wieder aufwärts. Statt weiter abzusacken, drückte sich Jennys Sitz gegen sie. Das Ganze hatte nur eine Sekunde gedauert.
    Die Stimme des Piloten drang aus dem Lautsprecher, geschmeidig und weich wie Cream Soda.
    »Meine sehr verehrten Passagiere, es tut mir sehr leid, aber wir sind in leichte Turbulenzen geraten. Wir werden versuchen, darüber hinwegzufliegen; in der Zwischenzeit bleiben Sie bitte angeschnallt.«
    Nur Turbulenzen. Etwas ganz Gewöhnliches. Sie würden nicht sterben.

    Jenny schaute wieder aus dem Fenster. Sie konnte nicht viel sehen, weil sie mitten in den Wolken waren. Nebel und Dunkelheit …
    Genau wie der Nebel und die Dunkelheit der Schattenmänner . Ihre rasenden Gedanken blieben immer wieder an diesem Thema hängen. Du wirst jetzt jeden Moment die Augen sehen, die hungrigen Augen …
    Aber sie sah gar nichts.
    »He, hört mal zu«, sagte Michael heiser. »Wegen meines Traums …«
    »Es war nur ein Traum«, unterbrach Audrey ihn, pragmatisch wie immer. Und Jenny war dankbar für Audreys energische Stimme mit dem Unterton der Vernunft. Wie eine Ohrfeige zum Aufwecken.
    »Nur ein Traum. Hat nichts zu bedeuten«, wiederholte Jenny. Was glatt gelogen war; sie selbst glaubte nicht für fünf Cent daran. Sie hatte keine Ahnung, was der Traum bedeutete, aber sich gegen Michael zu verbünden, war der einzige Strohhalm weit und breit, an den sie sich klammern konnte. Steckte Julian dahinter? Quälte er sie mit Bildern von Summer? Albträume waren die Spezialität des Schattenmannes.
    Der Schattenmann. Wie der Sandmann, nur dass er Albträume bringt. Inzwischen kennt er uns alle, kennt unsere Schwachstellen. Er kann unsere schlimmsten Ängste zum Leben erwecken, und selbst wenn sie nicht
real sind, werden wir den Unterschied nicht erkennen können.
    Worauf lassen wir uns da ein?
    Den Rest des Fluges verbrachte sie damit, aus dem ovalen Fenster zu starren und die kalten metallenen Enden ihrer Armlehnen zu umklammern.
     
    Um sechs Uhr sechsundfünfzig morgens war es kühl in Pittsburgh. Und windig. Der Himmel zeigte ein Blau, wie man es im frühmorgendlichen Südkalifornien nur selten sah. In Vista Grande, wo Jenny lebte, hatte der Maihimmel für gewöhnlich die

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