Die Entscheidung der Hebamme
Zeit mit Schwatzen zu vertrödeln, dazu hatte jede von ihnen viel zu viel zu tun. Aber beim Nähen war ausreichend Gelegenheit, den neuesten Dorfklatsch auszutauschen. Und Emma wusste, dass die Freundin solche Momente bei ihr als ein Stück verlorener Normalität genoss. Also schickte sie eines ihrer Kinder aus, damit es noch Agnes dazuholte, die Frau des zweiten Schmieds, die mit Marthes Stiefsohn Karl verheiratet war. Auch Agnes brachte ihre Kinder mit, so dass es in Jonas’ Haus bald noch turbulenter als sonst zuging und Marthe ihre Sorgen vergaß – zumindest für diesen Vormittag.
Am nächsten Tag kam Lukas zurück auf den Burghof geprescht und suchte sofort nach Christian, Marthe und Dietrich, um die Neuigkeiten loszuwerden, kaum dass er sein Pferd einem Stallburschen übergeben hatte.
»Der Löwe ist nach der Herausforderung zum Zweikampf mit Markgraf Dietrich wirklich nicht nach Magdeburg gekommen!«, berichtete er schon auf dem Weg in die Kammer. »Er blieb auf Burg Haldensleben, und von dort aus bat er um ein vertrauliches Treffen mit dem Kaiser. Friedrich soll ihm angeboten haben, er könne durch ein Bußgeld von fünftausend Mark Silber Reue zeigen und den angerichteten Schaden sühnen. Glaubt es oder nicht – der Löwe hat abgelehnt. Ziemlich überheblich von ihm, wenn ihr mich fragt.« Lukas machte eine abfällige Handbewegung. »Damit hat er seinen Untergang besiegelt.«
Endlich nahm er sich Zeit für einen kräftigen Schluck Bier. Er trank den Krug halbleer, wischte sich mit dem Ärmel über die Lippen und sprach weiter.
Während der Kaiser und seine Getreuen in Magdeburg mit großer Pracht das Fest Peter und Paul feierten und von dort aus nach Erfurt zogen, wurden bereits alle Absprachen für den Hoftag im August in Kayna getroffen. Dort würden der Kaiser und das Fürstengericht das Verfahren gegen den Löwen nach Lehnsrecht und Landesrecht eröffnen, was nach Lukas’ Ansicht mit nichts anderem als der Ächtung und Entmachtung des Welfen enden konnte.
»Er wird sich nicht kampflos ergeben«, endete der junge Ritter seinen Bericht und meinte, zu Christian gewandt: »Spätestens wenn der Hoftag in Kayna vorbei ist, beginnt der Krieg.«
Dann sah er zu Dietrich. »Zeit, die Schwerter zu schärfen.«
Der Siebzehnjährige blickte triumphierend auf.
Marthe hingegen, obgleich schneeweiß im Gesicht, gab sich alle Mühe, gefasst zu bleiben. Schließlich hatten sie seit Wochen mit nichts anderem gerechnet.
Am nächsten Morgen nahm Marthe ihre eigenen Kriegsvorbereitungen in Angriff. Gemeinsam mit Mechthild, der Köchin und Wirtschafterin, wollte sie die Vorräte überprüfen.
Der Winter war hart und lang gewesen, noch Ostern war alles Land mit Schnee bedeckt. Die Älteren munkelten schon kopfschüttelnd und besorgt von Anzeichen in der Natur, dass auch der kommende Winter streng werden würde, obgleich sich das jetzt, unter der sengenden Sommersonne, niemand so recht vorstellen mochte.
Auch wenn in ihrem Dorf kaum noch Getreide angebaut wurde, weil fast überall Erzgruben angelegt oder Häuser errichtet worden waren – die verspätete Aussaat allerorten und der geringe Ernteertrag würden dieses Jahr den Getreidepreis gewaltig in die Höhe treiben.
Besser, sie kauften das Korn bald nach der Ernte als kurz vor dem Winter, und zwar deutlich mehr als sonst. In Christians Auftrag waren bereits zwei Fuhrleute unterwegs, um Getreide aus Böhmen herbeizuschaffen: Hans und Friedrich, die einst Salz aus Halle nach Böhmen gekarrt und von dort Getreide zurückgebracht hatten. Sie waren damals dem Siedlerzug auf dem Weg ins künftige Christiansdorf begegnet und hatten später hier das erste Silbererz entdeckt.
Doch wenn Christian dem Markgrafen Truppen für die Heerfahrt stellen musste, brauchten sie zusätzliche Vorräte als Proviant für die Bewaffneten.
Auf dem Burghof standen noch ein paar Pfützen von einem nächtlichen Gewitter, trotzdem herrschte das übliche geschäftige Treiben. Zwei Mägde holten Wasser vom Brunnen, eine saß auf einem Schemel und rupfte eine Gans, wobei sie vor sich hin schimpfte, die Stallknechte riefen sich beim Ausmisten derbe Scherze zu.
Aus den Gebäuden der markgräflichen Münze, die den größten Teil des Hofes einnahmen, drang der gewohnte Lärm: das Zischen und Fauchen aus der Feinbrennerei, wo das aus dem Erz gewonnene Rohsilber erneut geschmolzen und gegossen wurde, aus dem Nebenhaus das helle Hämmern, mit dem es platt geschlagen wurde, damit ein
Weitere Kostenlose Bücher