Die Entscheidung der Hebamme
Dutzend Männer aus den flachen Streifen kleine, runde Scheiben schneiden konnten, und das gleichmäßige, dumpfe Pochen aus dem Prägehaus, wo Porträt und Insignien des Markgrafen in die Schrötlinge geschlagen wurden.
Die resolute Mechthild bahnte sich, davon völlig unbeeindruckt, den Weg zur Vorratskammer, während ihre Trippen auf dem Burghof klapperten.
Die Witwe, die alle ihre Kinder verloren hatte und nun hinter rauher Schale eine schier unerschöpfliche Mütterlichkeit für den gesamten Haushalt und ganz besonders für Marthe verbarg, war der jungen Burgherrin eine unersetzliche Hilfe dabei, sich in die neuen Aufgaben hineinzufinden.
Marthe hatte erst lernen müssen, die Vorräte für die vielen Menschen zu berechnen, für die sie jetzt zuständig war. Bei jungen Mädchen aus adligem Haus gehörte das zur Erziehung, bevor sie verheiratet wurden. Doch Marthe stammte aus ärmsten Verhältnissen und hätte sich nie und nimmer träumen lassen, einmal dem großen Haushalt eines Ritters, geschweige denn eines Burgvogtes vorzustehen.
Während sie die Vorratskammer aufschloss, kam ihnen wie ein Blitz eine grauweiße Katze entgegengeschossen. Die hatte Lukas Marthe vor Jahren geschenkt, damals, kurz nachdem sie mit dem alten Wiprecht verheiratet worden und todunglücklich war. Der Mäusejäger und sein zahlreicher Nachwuchs hatten sich zu tüchtigen Bewachern der Kornkammer entwickelt und standen daher auch bei Mechthild in hoher Gunst.
Die beiden Frauen brauchten einen Augenblick, bis sich ihre Augen nach dem grellen Sonnenlicht an das Halbdunkel in der kühlen Kammer gewöhnt hatten. Wohlgeordnet hingen Säcke mit Hülsenfrüchten und geräucherte Speckschwarten von der Decke, standen große und kleine Fässer beieinander.
Mit dem sicheren Gespür einer erfahrenen Wirtschafterin ging Mechthild auf eines der Fässer zu und hob den schweren Deckel an. Beißender Gestank drang heraus, so dass die Köchin den Holzdeckel nach einem bekümmerten Blick sofort wieder fallen ließ. »Das Pökelfleisch ist rettungslos verdorben«, sagte sie missgelaunt. »Wenn Ihr einverstanden seid, gibt es heute Abend für alle nur Brei.«
Marthe nickte zustimmend. Sie hätten zwar auch ein paar Gänse oder Lämmer schlachten können, damit Fleisch auf die Tafel kam, aber es war besser, zu sparen.
Gemeinsam zählten sie die Säcke mit Bohnen und Erbsen – es waren nicht mehr viele –, begutachteten den gesalzenen Fisch für die Fastentage und überschlugen, wie viel Rüben und Kohl noch in den Mieten und wie viele Säcke Getreide in der Kornkammer lagerten.
»Die Kinder sollen Nüsse sammeln und in die Vorratskammer schaffen. Und dörrt alles Obst, was nicht gleich gegessen wird«, entschied Marthe. Sie zögerte einen Moment, dann sagte sie: »Diesen Herbst sollten wir vorsichtshalber Eicheln auflesen.«
Nun blickte auch Mechthild besorgt. Eichelmehl war karge, bittere und kaum sättigende Nahrung in Hungersnöten, wenn alle Reserven aufgebraucht waren. Aber auch die Köchin wusste, dass die Ernte dieses Jahr allerorten eher mager ausfallen würde und der nächste Winter ebenso streng und lang wie der werden konnte, den sie hinter sich hatten. Sicher waren viele Christiansdorfer wohlhabend genug, um sich Korn kaufen zu können, aber es gab auch Arme unter ihnen. Und niemand wusste, welches Unheil sie in diesem Jahr noch heimsuchen würde.
»Wir brauchen außerdem mehr Wolle und Leinen als sonst«, verkündete Marthe, während sie das Schlüsselbund von ihrem Gürtel löste, um die Vorratskammer wieder sorgfältig zu verschließen. Die Männer, die in den Krieg zogen, würden nicht nur Kleidung benötigen, sondern auch Verbandsmaterial.
Mechthild schien ihre Gedanken zu erraten, denn sie drehte sich um und sah Marthe düster an. »Wird es Krieg geben?«
»Noch ist keine Heerfahrt beschlossen«, sagte die junge Burgherrin ausweichend. Sie wollte Mechthild nicht belügen, aber auch keine Gerüchte in die Welt setzen.
Doch mehr musste sie der lebenserfahrenen Köchin gar nicht erklären. »Ach, Kindchen«, seufzte Mechthild und sah Marthe mitleidig an.
Diese empfand die Anrede nicht als respektlos; ihr war eher danach zumute, sich von Mechthild in die Arme nehmen und trösten lassen. An ihre leibliche Mutter konnte sie sich überhaupt nicht mehr erinnern, nur noch an die eine Szene, als ihre Eltern von Dieben niedergestochen worden waren. Und ihre Ziehmutter war gestorben, als Marthe noch nicht einmal vierzehn Jahre alt
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