Die Entscheidung der Hebamme
endlich aufrissen. Wo die Herbstsonne auf den morastigen Boden fiel, stiegen feuchte Schwaden auf und machten die Gegend noch unheimlicher. Niemand von den Belagerern hatte auch nur einen trockenen Faden am Leib, das Brot schimmelte ihnen unter den Händen weg, das Dörrfleisch begann zu faulen. Selbst Wichmanns Berater schienen keinen erfolgversprechenden Plan zu haben, wie sie die Burg einnehmen konnten. Doch der an Starrsinn grenzende, unverminderte Zorn des Erzbischofs erstickte jede Debatte unter den Heerführern, die Belagerung Haldenslebens angesichts der vorgerückten Jahreszeit aufzugeben und erst im Frühjahr wiederaufzunehmen.
Also ließ Christian seine Männer weiter an den Teilen für einen Belagerungsturm bauen, auch wenn sich keiner von ihnen vorstellen konnte, wie sie mit dem schweren Kriegsgerät über das sumpfige Gelände bis an die Wälle und Mauern kommen sollten.
Währenddessen machte das Gerücht die Runde, dass Philipps Söldnerheer auf dem Marsch nach Haldensleben die Besitzungen Heinrichs geplündert und dabei nicht einmal Kirchen und Klöster unbehelligt gelassen hatte. Westfalen war ein zweites Mal verheert worden, schlimmer noch als durch die Truppen des Löwen.
Christian unternahm wie jeden Abend nach Einbruch der Dämmerung gemeinsam mit Lukas und Dietrich einen Rundgang durchs Lager, um mit seinen Männern zu reden.
Längst kannte er auch diejenigen beim Namen, die ihm in Meißen zugeteilt worden waren. Und zufrieden registrierte er, dass der magere Bursche, der bei der Ankunft so viel Furcht gezeigt hatte, sein Versagen wettzumachen bemüht war und sich geschickt im Umgang mit Axt und Säge zeigte.
Die Männer saßen in Gruppen um kleinere Feuer; manche starrten vor sich hin, andere schwatzten oder würfelten und hofften, sich vom Gewinn die Dienste einer Trosshure kaufen zu können. Einige brieten sich überm Feuer irgendwelches Getier, das sie gefangen hatten; eine winzige Mahlzeit zweifelhaften Ursprungs, doch der Duft von gebratenem Fleisch in dem allgegenwärtigen dumpfen, modrigen Gestank, der über dem Lager hing, ließ auch Christians Magen knurren.
Eine Hure sprach sie an, aber als sie ihn erkannte, entschuldigte sie sich hastig und verzog sich umgehend. Es war bekannt im Lager, dass Christian keine Hurendienste in Anspruch nahm. Er wusste, dass sein Verhalten das Gerücht aufbrachte, seine Frau hätte ihn mit einem Zauber an sich gebunden. Doch er war nicht bereit, so weit zu gehen, sich mit einer der heruntergekommenen Lagerhuren einzulassen, um Marthe vor solchem Gerede zu schützen.
In Gedanken versuchte er sich auszumalen, wie es ihr wohl ergehen mochte, während Albrecht das Kommando über die Burg hatte. Dann zwang er sich, solche Grübeleien beiseitezuschieben. Es war müßig; er konnte hier nichts für sie tun, sondern musste darauf bauen, dass sie sich selbst zu helfen wusste und die heimliche Armee ihrer Verbündeten im Ort ihr beistand. Mochten auch die Dörfler nicht wagen, dem Sohn eines Markgrafen zu widersprechen – Christian hatte in den letzten zwölf Jahren genug Menschen in seinem Dorf kennengelernt, auf deren Mut und Loyalität er vertraute und die mit Witz und Verstand ihr Bestes geben würden, um Unheil zu vermeiden.
Lukas schien zu ahnen, wohin die Gedanken seines Freundes flogen. »Ich halte jede Wette, dass wir hier nicht den Winter zubringen«, sagte er. »Otto wird dazu noch weniger Lust verspüren als du und ich. Sobald er einen Weg findet, die Zelte abzubrechen, ohne das Gesicht vor Wichmann und den anderen zu verlieren, geht’s nach Hause, glaub mir!«
Darin stimmte Christian ihm zu. »Ich wüsste keinen außer Wichmann, der nicht lieber heute als morgen hier wegwollte. Selbst der Erzbischof muss doch längst eingesehen haben, dass die Burg so nicht einzunehmen ist.«
»Vielleicht wartet er auf ein Gotteswunder?«, spöttelte Lukas.
»Viertausend Brabanzonen würde ich nun nicht gerade als ein Wunder
Gottes
bezeichnen …«, entgegnete Christian abfällig.
Gedankenversunken gingen sie ins Zelt, um bei einem kargen Mahl aus Trockenfleisch und Brot mit Dietrich und den beiden jüngeren Knappen ein paar Angriffstaktiken zu erörtern.
Es musste schon dunkel sein, als sie von draußen aufgeregte Rufe hörten. Sofort griff Christian nach seinem Schwert, sprang auf und stürzte hinaus. Lukas und Dietrich folgten ihm, ebenfalls die Waffen in der Hand. Doch es gab keine Schlägerei und auch keinen Ausfall der Belagerten, wie sie
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