Die Entscheidung der Hebamme
Hilfe eilen wollte, dessen Banner allerdings im Lager noch nicht gesehen. Womöglich war er auch gerade erst eingetroffen, so wie sie.
Er trat einen kleinen Schritt zurück ins Halbdunkel. Es würde ihrer Sache nicht unbedingt dienlich sein, wenn Ludwig in ihm den Mann erkannte, den er vor ein paar Jahren gegen alles Recht auf der Wartburg gefangen gehalten hatte, um ihn für eine beträchtliche Summe an den Herzog von Sachsen und Bayern zu verkaufen. Damals hatte der Thüringer noch gemeinsame Sache mit dem Löwen gemacht. Wenn er jetzt umgeschwenkt war, dann sicher nur, weil er erkannt hatte, dass die Tage von Heinrichs Allmacht gezählt waren. Christian traute dem Ludowinger ebenso wenig über den Weg, wie Otto es tat. Und das nicht nur wegen der Kerkerhaft auf der Wartburg.
Ludwig hatte ihn schon ins Auge gefasst und starrte ihn mit schlecht gespielter Gleichgültigkeit an. Demonstrativ deutete Christian ein knappes Nicken an, bevor er seinen Blick auf den Magdeburger Erzbischof richtete.
Der sonst den weltlichen Freuden so zugetane Wichmann wirkte nicht nur erschöpft, sondern stark gealtert in den wenigen Monaten seit dem Magdeburger Hoftag, als Christian ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
Aber noch nie hatte er so viel Hass aus seinen Worten gehört wie jetzt. »Werft Haldensleben nieder! Kein Stein soll auf dem anderen bleiben! Brennen soll es, brennen, wie mein Halberstadt brannte!«
Entsetztes Schweigen legte sich über die Runde. Und das weniger deshalb, weil ein so bedeutender Geistlicher Barmherzigkeit üben und die Rache dem himmlischen Vater überlassen sollte. Der Erzbischof von Magdeburg war nicht frommer als jeder von ihnen selbst. Aber er hatte sich bisher immer um Ausgleich in den Angelegenheiten bemüht, die den Frieden und die Sicherheit des Kaiserreiches betrafen. Während der Pilgerreise Heinrich des Löwen nach Jerusalem vor sieben Jahren hatte dieser ihn trotz der bestehenden Rivalität sogar zum Statthalter Sachsens ernannt und über seine Güter wachen lassen. Und Wichmann führte die Aussöhnung des Kaisers mit Papst Alexander nach zwanzigjähriger Feindschaft nicht nur maßgeblich herbei, sondern er hatte den Kaiser höchstpersönlich nach Venedig begleitet, damit dieser dort den Friedenskuss und den Segen des Papstes empfing. Wie viele geduldige Worte vonnöten waren, um Friedrich dazu zu bringen, sich dem Papst vor die Füße zu werfen, wollte sich Christian lieber nicht ausmalen.
Nur das Prasseln des Regens auf das Zeltdach und das gedämpfte Schimpfen und Schreien der Belagerer draußen durchbrachen die Stille.
Der Geistliche schien das Befremden seiner Zuhörer nicht zu bemerken. Immer wieder stockend, berichtete der sonst so wortgewaltige Erzbischof, was sich ereignet hatte, während seine Verbündeten noch auf dem Marsch hierher gewesen waren.
»Der Löwe hat Halberstadt kampflos besetzt, wehrlose Bürger gefangen genommen und ihrer gesamten Habe beraubt«, erzählte er mit brüchiger Stimme. »Doch das war erst der Anfang. Seine Leute steckten bei starkem Wind eine Hütte in Brand. Das Feuer griff im Nu um sich und setzte die ganze Stadt in Flammen. Nicht nur die Häuser, sondern auch fast alle Kirchen und Klöster brannten. Es hat weniger als einen Tag gedauert, und von Halberstadt waren nur noch Schutt und Asche übrig.«
Der Erzbischof bedeckte die Augen mit seiner ringgeschmückten Hand. Niemand unter den Anwesenden zweifelte daran, dass Wichmanns Entsetzen echt war.
»Hunderte Menschen, die in den Gotteshäusern Schutz und Zuflucht suchten, wurden unter den Trümmern der einstürzenden Kirchen begraben«, klagte er. »Der hochbetagte, ehrwürdige Bischof Ulrich hat sein Leben riskiert, um die halbverkohlten Reliquien des heiligen Stephanus, des Schutzpatrons von Halberstadt, aus den Flammen zu reißen und vor der gänzlichen Vernichtung zu retten. Er, sein Propst, etliche andere Geistliche und Ritter wurden gefangen genommen und fortgeschafft, Gott weiß, wohin.«
Der Erzbischof schien noch mehr in sich zusammenzusacken, während das Feuer in den Kohlebecken knisterte. »Und als sei das alles nicht genug, hat der Löwe zugelassen, dass seine Truppen in der niedergebrannten, wehrlosen Stadt gewütet haben wie Abgesandte der Hölle. Grölend zogen sie durch die rauchenden Trümmer, mordeten und plünderten. Ehrbaren Frauen und Jungfrauen rissen sie die Kleider vom Leib und schändeten sie vor aller Augen. Nicht einmal der geistliche Stand blieb
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