Die Entscheidung der Hebamme
Auseinandersetzungen unter den Fürsten mitbekommen hatte, wenngleich er nicht alle Einzelheiten kannte.
»Vor zwölf Jahren sollte Herzog Heinrich diese Burg auf Beschluss des Fürstengerichts an Wichmann ausliefern«, erklärte Christian ihm die pikanten Details der Vorgeschichte. »Der Löwe weigerte sich und marschierte stattdessen gegen Bremen. Daraufhin zerstörten seine Widersacher die Burgen Haldensleben und Niendorf. Trotz seines Wortbruchs erhielt Heinrich Haldensleben vom Kaiser zurück und ließ den Aufbau einer stark befestigten Marktsiedlung an der Ohre beginnen, nur ein paar Steinwürfe von der zerstörten Feste entfernt. Und hier stehen wir nun.«
Ein völlig durchnässter junger Mann trat zu ihnen. »Der Markgraf bittet Euch, ihn zu Erzbischof Wichmann zu begleiten«, sagte er zu Christian, während sich Lukas’ Miene verhärtete. Der Bote war kein anderer als sein jüngerer Bruder Jakob, und auf dessen Gesellschaft legte er wenig Wert.
Sie hatten viel Streit miteinander gehabt, als Jakob noch Christians Knappe war, weil Lukas mit der Leistung des Jüngeren nicht zufrieden war und ihm das immer wieder vorhielt, um ihn zu größeren Anstrengungen zu treiben. Dann enterbte ihr Vater Lukas, nachdem dieser das befohlene Verlöbnis mit der bigotten Nachbarstochter aufgekündigt hatte, die mitschuldig an Marthes Verhaftung durch die Häscher der Kirche war. Um selbst das Erbe zu bekommen, sagte sich Jakob zu Christians maßloser Enttäuschung von seinem Bruder los.
Doch Monate später und nach ein paar hässlichen Worten, die Jakob inzwischen bereuen mochte, hatte sich der Jüngere zu einer schwierigen Entscheidung durchgerungen. Er gestand erst Lukas und Christian, dann Markgraf Otto, wer dessen Neffen Konrad am Tag seiner Schwertleite aufgestachelt hatte, sich zum Zweikampf mit einem überlegenen Gegner zu melden, und so Konrads Tod provozierte. Jakobs Geständnis führte dazu, dass der Markgraf Christian endlich erlaubte, seinen Todfeind Randolf zum Zweikampf auf Leben und Tod herauszufordern.
An Konrads Grab schlossen die verfeindeten Brüder in stillschweigendem Einvernehmen so etwas wie einen Waffenstillstand, doch richtig ausgesöhnt hatten sie sich bis heute nicht.
Inzwischen hatte Jakob auf Befehl seines Vaters eine Nachbarstochter geheiratet und mehrere Kinder gezeugt, während Lukas immer noch unbeweibt und ohne Nachwuchs war.
Christian befahl, Brot und Bier auszuteilen, wenn das Lager fertig war, und folgte dem Boten.
Das Zelt des Meißner Markgrafen war bereits aufgebaut. Gerade trat Otto in Begleitung Ekkeharts heraus, blinzelte missmutig in den grauen Himmel, aus dem es wie aus Kannen goss, und zog fröstelnd die Schultern hoch. Mit einer knappen Geste bedeutete er Christian und Ekkehart, ihm zu folgen.
Unterwegs schlossen sich ihnen Dietrich von Landsberg und Dedo von Groitzsch mit ihren ranghöchsten Befehlshabern an. Ottos Brüder hatten ihre Heere bereits auf dem Weg hierher mit der Meißner Streitmacht vereinigt. Beide waren ebenso durchnässt und skeptisch wie Christian auch.
Angesichts von Dedos Körperumfang fragte sich Christian mit jäh aufkommendem Zynismus, wie der Graf von Groitzsch wohl das Moor überqueren wollte, ohne einzusinken. Markgraf Dietrich musste ähnlich denken, denn um seine Mundwinkel spielte für einen Moment ein spöttisches Lächeln.
Der Erzbischof erwartete sie in einem prachtvollen Zelt, in dem Kohlebecken wohltuende Wärme verbreiteten.
Wenn es nach mir geht, könnte die Besprechung ruhig eine Weile dauern, dachte Christian. Denn es wird wohl auf längere Zeit die letzte Gelegenheit sein, meine Kleider trocknen zu können. Dankbar nahm er den heißen Würzwein entgegen, den ihm ein Junge reichte, der kaum älter als vierzehn Jahre sein mochte und nicht verbergen konnte, dass er hundserbärmlich fror, so sehr zitterten seine Finger. Vielleicht war es aber auch Fieber, das ihn so frösteln ließ.
»Gott segne Euch für Euren Beistand!«, begrüßte der Erzbischof von Magdeburg seine Verbündeten. Mit seiner Leibesfülle und den prachtvollen Gewändern sollte Wichmann eigentlich alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch Christians Blick richtete sich unwillkürlich auf einen für eine Belagerung übermäßig herausgeputzten jüngeren Mann, der zwischen Wichmanns geistlichen Beratern und militärischen Führern stand und überheblich auf die Wettiner herabsah.
Christian hatte zwar gehört, dass der Landgraf von Thüringen Magdeburg zu
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