Die Entscheidung der Hebamme
schwerwiegend genug für solch eine Entscheidung gelten.
Otto war anscheinend sogar bereit, dafür seinen Sohn zu opfern.
»Pack unsere Sachen zusammen!«, wies er Dietrich an. »Wir reiten in voller Rüstung.«
Dann ging er, um Lukas und Raimund zu bitten, mit ihnen zu reiten. Auch wenn beiden klar war, worauf sie sich einließen, stimmten sie ohne Zögern zu.
Das Kommando über seine Männer übergab er vorübergehend Reinhard, einem seiner jungen Ritter, ebenso alt wie Lukas. Er war kurz nach seiner Schwertleite von Randolf in Dienst genommen worden, als dieser die neu errichtete Burg und das Burglehen von Christiansdorf bemannte. Reinhard war der Einzige von Randolfs Rittern, der nach dem Schuldspruch über seinen Dienstherrn durch das Gottesurteil, bei dem Christian Randolf im Zweikampf getötet hatte, im Dorf geblieben und Christian die Treue geschworen hatte. Obwohl sich Reinhard einst Christians Todfeind angeschlossen hatte, gab es für Christian bis zu diesem Tag keinen Grund, seine Entscheidung zu bereuen, den jungen Ritter nicht wie die anderen Getreuen Randolfs fortgeschickt zu haben. Dennoch wirkte Reinhard überrascht, beinahe verlegen vor Freude, dass ihm nun ein solcher Vertrauensbeweis zuteilwurde.
Während die anderen die Pferde sattelten, ging Christian hinüber zu den Marketenderinnen, die seine Männer bekochten und ihnen diese oder jene Ration extra feilboten. Ihre Wortführerin, eine hagere Frau namens Grete mit schlohweißem Haar und gefürchtetem Mundwerk, begrüßte ihn mit einem zahnlosen Lächeln, während sie mit einem großen Schöpflöffel in einem Kessel herumfuhrwerkte.
»Wollt Ihr etwas von meiner Suppe, Herr?«, bot sie ihm an und machte Anstalten, eine Schüssel für ihn zu füllen.
Er lehnte dankend ab, weil keine Zeit dafür war. »Ich möchte, dass du deinen Gefährtinnen etwas ausrichtest«, meinte er und wies hinüber zu den anderen Frauen. Sie ließ die Kelle sinken und sah ihn argwöhnisch an.
»Ist es wahr, dass die Brabanzonen anrücken?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme.
»Deshalb komme ich. In spätestens drei Tagen werden sie hier sein«, bestätigte Christian mit düsterer Miene. »An eurer Stelle würde ich alles für einen schnellen Aufbruch bereitmachen und das Lager verlassen, sobald sie in Sicht sind. Mit denen werdet ihr ohnehin keine Geschäfte machen.«
Ihr grimmiges Gesicht sagte ihm, dass er sie nicht weiter überzeugen musste.
»Wenn ihr wollt, bekommt ihr Geleitschutz bis Magdeburg«, bot er an, weil er sich dazu verpflichtet fühlte. Sicher, die Frauen verdienten am Krieg, aber sie gingen ein großes persönliches Wagnis ein und sorgten dafür, dass seine Männer bessere Kost und manch andere Vergünstigung erhielten, die sie die Umstände eher ertragen ließen. Er hatte auch mitbekommen, dass diese Alte hier Lukas’ Knappen, der schon bald nach der Ankunft jämmerlich zu husten begonnen hatte, ein heilendes Elixier zugesteckt hatte. Und für einen Tag würde er angesichts der trostlosen Lage ein paar seiner Männer entbehren können.
»Danke, Herr«, sagte die Frau mit dem schlohweißen Haar. Dann ging sie zu Christians Überraschung vor ihm auf die Knie, griff nach seiner Hand und küsste sie. »Gott möge Euch schützen. Euch und Eure Freunde!«
Als Christian zurück zu seinem Zelt lief, sah er, dass Jakob zögernd seinem älteren Bruder entgegenging. Lukas tat nichts, um dem Jüngeren etwas von seiner Verlegenheit zu nehmen, sondern blickte ihn nur an und wartete stumm.
»Du warst immer der bessere Kämpfer, Bruder …«, begann Jakob stockend und mit gesenktem Blick. »Sollte mir hier etwas zustoßen … bitte ich dich … kümmere dich um meine Frau und meine Kinder. Ich habe dich zu ihrem Vormund ernannt für den Fall, dass ich nicht aus dem Krieg zurückkomme …«
Verblüfft starrte Lukas auf seinen Bruder. »Bei diesem Auftrag bin wohl eher ich es, der seine Angelegenheiten für den Fall seines Ablebens regeln sollte«, platzte er heraus. Doch dann überwand er sich, umarmte den Jüngeren kurz und klopfte ihm auf die Schulter. Es war eine ungewohnte Geste zwischen beiden; keiner von ihnen konnte sich erinnern, dass so etwas zwischen ihnen schon einmal geschehen war.
»Bei dieser Belagerung läufst du zwar eher Gefahr, dich zu Tode zu frieren als von einem Schwertstreich getroffen zu werden«, lästerte Lukas in der für ihn typischen Unbekümmertheit. »Aber du hast mein Wort: Sollte ich die Begegnung mit den
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