Die Entscheidung der Hebamme
setzte es manchmal ein, um nachlassende Wehen wieder in Gang zu bringen. Doch Johannas Wehen waren stark – vorerst noch, obwohl ihre Stieftochter nach einer schlaflosen Nacht voller Schmerzen bald ans Ende ihrer Kräfte kommen würde.
Marthe ließ Johanna vom Gebärstuhl zum Bett bringen und wies Marie an, ihren Platz einzunehmen und das Kind aufzufangen, sollte es jäh herausgleiten. Dann kletterte sie auf das Bett, kniete sich über Johannas Leib und begann, mit ganzer Kraft das Kind nach unten zu drücken.
»Pressen!«, rief sie Johanna zu, und mit gequältem, schweißüberströmtem Gesicht nahm die junge Frau alle Kraft zusammen.
»Es hat schwarze Haare!«, rief Marie, fassungslos vor Staunen. »Ich hab’s für einen Augenblick gesehen!« Voller Angst sah sie zu Marthe. »Was soll ich tun?«
»Rasch, tausch mit mir den Platz!«
So schnell sie konnte, kletterte Marthe vom Bett und kam gerade zur rechten Zeit. Vorsichtig drückte sie gegen das Köpfchen, damit er nicht zu schnell austrat und Johanna dabei aufriss. Nach der nächsten Wehe konnte sie das Kind an den Schultern herausziehen.
Glücklich hielt sie das blutverschmierte Neugeborene hoch. »Es ist ein Mädchen!«, rief sie Johanna zu, die vor Erschöpfung und Freude zu weinen begann.
Sofort setzte neuerliche Geschäftigkeit ein. Die junge Mutter wurde gewaschen, gekleidet und gekämmt, das Neugeborene gesäubert, und die blutigen Spuren der Entbindung wurden beseitigt. Dann ließ Marthe den Kaplan und den frischgebackenen Vater holen.
Erleichtert und froh hielt sie Johannas Hand, bis Kuno hereinstürzte, sich entgegen seiner Art wortlos ans Bett seiner Frau setzte und mit staunenden Augen sein Töchterchen bewunderte.
Augenblicke später kam Hilbert, um das Neugeborene auf den Namen Anne zu taufen.
Marthe beschloss, die jungen Eltern allein zu lassen. So gern sie auch bei ihrer Stieftochter geblieben wäre – jetzt konnte sie es nicht länger hinauszögern, Albrecht entgegenzutreten.
Frisch zurechtgemacht und in ihrem besten Kleid, ging Marthe wenig später Ottos Erstgeborenem und seinen Begleitern entgegen, die in der Halle saßen und unter derben Späßen aßen und tranken, was Mechthild hatte auftragen lassen.
Bereits von weitem durchfuhr sie angesichts der Gäste ein eisiger Schrecken. Direkt neben Albrecht saß ein Ritter, dessen Anblick jedes Mal von neuem ihr Herz für einen Augenblick stocken ließ. Wie stets trug er einen kostbaren Bliaut und hatte das rötliche Haar sorgfältig frisiert.
Es gab wenige Menschen, denen Marthe den Tod wünschte, aber Elmar war einer von ihnen. Er gehörte zu denen, die sie vor zwölf Jahren geschändet hatten. Ihren Anführer Randolf hatte Christian getötet. Mit Ekkehart war es eine besondere Geschichte, über die sie jetzt nicht nachdenken wollte. Der Dritte, der feiste Giselbert, war gemein und gewalttätig wie Elmar auch. Doch Elmar war darüber hinaus jemand, der mit Freude, kühl und berechnend Intrigen spann. Es war bestimmt kein Zufall, dass er ausgerechnet jetzt und hier an Albrechts Seite saß. Mit Sicherheit würde er ihm so manche Einzelheit über Christiansdorf und seine Bewohner verraten, die ihnen gefährlich werden konnte.
Elmar hatte sie bemerkt und raunte Albrecht etwas zu. Dieser jedoch tat so, als wäre er vollauf damit beschäftigt, sich seinen Becher füllen zu lassen.
Mit gespielter Geduld verharrte Marthe vor seinem Platz, bis er sie endlich zur Kenntnis zu nehmen schien.
Sie verneigte sich tief. »Willkommen in Christiansdorf, Graf!«
Albrecht musterte sie amüsiert, doch wie üblich war sein eigentlich hübsches Gesicht durch einen arroganten Zug verzerrt.
»Und wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, mich jetzt erst eigens willkommen zu heißen, wo ich doch schon einen halben Tag hier bin?«
»Marthe, die Frau des Burgherrn.«
»Nun, der Burgherr bin ich. Aber ich wüsste nicht, dass ich geheiratet habe – oder ist mir etwas entgangen?«
Grinsend sah er zu seinen Begleitern, von denen die meisten um die zwanzig Jahre alt waren wie er, abgesehen vom fünfzehn Jahre mehr zählenden Elmar und einigen Männern in dessen Alter. Vor allem die Jüngeren gaben ihm umgehend laut prustend recht.
Dann wandte sich Albrecht wieder ihr zu. »Wenn du mir allerdings auf diese kecke Art deine Dienste anbieten möchtest …« Provokant ließ er seinen Blick an ihr auf und ab gleiten. »Nun, normalerweise bevorzuge ich jüngere Mädchen. Aber bei dir würde ich vielleicht sogar eine
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