Die Entscheidung der Hebamme
»Seht zu, dass ihr zeitig auf euer Strohlager findet und morgen nicht mit schwerem Kopf aufwacht. Es gibt viel zu tun.«
Bevor er ging, wandte er sich brüsk zu Marthe um. »Ihr wartet hier, bis ich Euch rufen lasse!«
Marthe dachte nicht daran, still in der Halle zu sitzen, bis es Albrecht einfallen mochte, nach ihr zu schicken. Sie hatte das Gefühl, die erste Schlacht mit Ottos Sohn bestanden, wenn nicht gar gewonnen zu haben. Endgültig würde sie das erst wissen, wenn sich herausstellte, was der künftige Markgraf als Nächstes für sie plante.
Doch jetzt musste sie sich erst einmal weiterhin vor seinen Männern behaupten. Das ging nicht, indem sie in einer Ecke auf Befehle wartete, sondern nur, indem sie welche erteilte.
Es war ein kleines Schauspiel, das sie nun gemeinsam mit Mechthild und ihren Mitverschwörern gab. Energisch kommandierte sie die Mägde, die die Tafeln abräumten. Natürlich hätten diese das auch von allein getan, aber sie musste sich jetzt als diejenige zeigen, die hier das Sagen hatte. Dabei fing sie ein heimliches Grinsen der Köchin auf, das ihr zeigte, dass Mechthild Marthes ersten Auftritt vor Albrechts Leuten ebenso als Sieg wertete.
Auch die Mägde hatten anscheinend Spaß an der kleinen Komödie und folgten ihren Befehlen mit übertrieben tiefen Knicksen und ergebenen Worten. Sie alle waren bereit, Christians Frau bei ihrer Vorführung nach Leibeskräften zu unterstützen. Denn davon, wie sich Marthe in Christians Abwesenheit gegen Ottos Sohn und dessen Ritter durchsetzen konnte, hing auch ihr Schicksal für die nächsten Wochen ab.
Marthe ließ sich zeigen, wer das Kommando über Albrechts Gefolge führte. Wie sich herausstellte, war es jener Ritter mit der schmerzenden Schulter.
Mit forschen Schritten trat sie an ihn heran. »Sind Eure Männer zu Eurer Zufriedenheit untergebracht?«, erkundigte sie sich. »Oder benötigt Ihr noch irgendetwas?«
»Ihr habt alles gut vorbereitet.« Der Mann zögerte. »Könnt Ihr mir tatsächlich dazu verhelfen, dass ich die Schulter wieder richtig bewegen kann?«
»Nicht über Nacht. Aber Ihr werdet schneller wieder das Schwert führen können, wenn Ihr mich Euch helfen lasst.«
Einen Moment lang überlegte sie, dass gerade dies vielleicht nicht unbedingt erstrebenswert für ihr Dorf sein mochte. Doch besser wäre es sicher, sich diesen Mann zum heimlichen Verbündeten zu machen. Nur, so gern sie ihm auf der Stelle geholfen hätte – im Beisein von Albrechts Vertrauten durfte sie auf keinen Fall die Weisung des Bischofs ignorieren.
»Schickt nach dem Pater; Euer Bote soll ihm ausrichten, es ginge um das Kraut, das nach dem heiligen Johannes benannt wurde.«
Als der Verletzte noch zögerte, winkte sie Peter herbei, der in Sichtweite herumlungerte. »Lauf zu Pater Sebastian und sag ihm, einer von Markgraf Ottos verdienstvollen Rittern benötigt seinen Beistand.«
Nach einer übertriebenen Verbeugung stob der Junge davon, aber Marthe hatte gerade noch gesehen, dass er ein breites Grinsen aufsetzte.
Auch sie musste in sich hineinlächeln, denn dieses hier erinnerte sie an eine Mut machende Episode aus schwärzesten Tagen.
Damals – sie war kaum der Folter und dem Tod entronnen – hatte ihr der Bischof nur unter der Bedingung erlaubt, weiter zu heilen, wenn Pater Sebastian jeden ihrer Handgriffe kontrollierte. Die ständige Präsenz des widerlichen Eiferers und die damit über ihr schwebende Drohung zermürbten sie. Doch diejenigen Dorfbewohner, die mit ihr und Christian sympathisierten – allen voran die Fuhrleute Hans und Friedrich –, marschierten nacheinander bei ihr auf, um sich in Sebastians Gegenwart ausnahmslos Kräuter geben zu lassen, die Heiligennamen trugen. Der so überrumpelte Pater konnte nicht wissen, dass die Betreffenden überhaupt nicht an den Krankheiten litten, von denen sie mit Marthes Arzneien geheilt werden wollten. Ihm blieb nichts weiter übrig, als sich nach ein paar Tagen darauf zu beschränken, regelmäßig ihre Arzneivorräte durchzuwühlen.
Dann schickte sie eine Magd zu Johanna, um Rotöl zu holen.
Sebastian war diesmal noch schlechter gelaunt als sonst. Der hagere Pfarrer mit der verkniffenen Miene war wohl enttäuscht, dass man ihn nicht an die Tafel von Ottos Sohn gerufen hatte. Wahrscheinlich hoffte er, sich nun endlich vor dem künftigen Markgrafen wichtigmachen zu können.
Wie immer erkannte Marthe ihn schon an dem säuerlichen Geruch, der seinen Kleidern anhaftete, noch bevor sie
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