Die Entscheidung der Hebamme
nächtlichen Zwischenfall hätte er Marthe vor sich aufs Pferd genommen, damit sie schneller vorankamen, sobald sie außer Sichtweite des Hofstaates waren. Aber das verbot sich nun. Ein Mann, der in den Ruf geraten war, ehrbaren Jungfrauen nachzustellen, würde wohl auch vor Ehefrauen nicht haltmachen, malte sich Lukas mit grimmiger Miene den unausweichlich aufkommenden Klatsch aus. Und natürlich mussten sie zusätzlich zu ein paar Reisigen und den beiden Knappen auch noch eine Anstandsdame für Marthe mitnehmen. Zum Glück hatten sich Raimund und seine Frau Elisabeth bereit erklärt, sie zu begleiten.
Wenn wir angekommen sind, überrede ich Raimund zu einem mächtigen Besäufnis, dachte Lukas. Danach steht mir jetzt wirklich der Sinn.
Marthe hingegen, die von diesem Plan des künftigen Bräutigams nichts ahnte, hoffte, dass Elisabeth und Raimund noch einige Zeit in Christiansdorf bleiben und sie bei den gewaltigen Aufgaben unterstützen würden, die auf sie zukamen. Elisabeth hatte dafür – im Gegensatz zu ihr – die beste Ausbildung bekommen. Jetzt musste sie nicht nur dafür sorgen, vierhundert Neuankömmlinge unterzubringen und ihnen ein Auskommen zu verschaffen, sondern auch noch eine Hochzeit vorbereiten. Genau genommen, zwei, wenn Marie inzwischen Bertram ins Gewissen geredet hatte.
Die kleine Reisegruppe hatte auf das Frühmahl verzichtet, um Zeit zu sparen, und sich stattdessen vom Küchenmeister Proviant mitgeben lassen.
Sofort nach dem Morgengebet und dem Zweikampf waren sie aufgebrochen. Sie hatten fast dreißig Meilen vor sich, und diese an einem Tag zu bewältigen, da auch zwei Frauen im Damensattel mit ihnen reisten, war ein hartes Unterfangen.
Elisabeth war im Gegensatz zu Marthe eine ausgezeichnete Reiterin. Umso mehr wurde Marthe wieder einmal beschämend bewusst, dass sie die anderen aufhielt. Doch sie hatten keine Zeit zu verlieren, und sie waren unter sich. Also schlug Raimund kurzerhand vor, Marthe zu sich aufs Pferd zu nehmen, damit sie schneller vorankamen. Er ritt einen kräftigen, ausdauernden Fuchs aus seinem eigenen Gestüt. Das gemeinsame Geschick im Umgang mit Pferden war es, das ihn und Christian schon während der Knappenzeit zu Freunden gemacht hatte – dies und ihr striktes Eintreten für die Regeln der ritterlichen Ehre.
Als die Dämmerung hereinbrach, waren es nach Lukas’ Worten noch fünf Meilen bis Christiansdorf. Sie verständigten sich kurz und beschlossen, weiterzureiten.
Die nach Einbruch der Dunkelheit verlassenen Gruben vor dem Dorf wirkten im Mondschein gespenstisch auf Marthe. Doch als sie den westlichen Wachturm erreichten, atmete sie auf. Die Wachen ließen sich die Verwunderung über die späte Ankunft der Reisenden nicht anmerken, sondern hießen sie willkommen und schickten ihnen ein paar Reiter mit, die mit Fackeln den Weg beleuchteten.
Nächtliche Stille lag über dem Dorf, nichts deutete darauf hin, dass hier etwas Bedrohliches oder Beunruhigendes geschehen war. Alles schien schon in tiefem Schlaf zu liegen, nur da und dort schlugen ein paar Hunde an oder weinte ein Kind.
Die Wache am Burgtor war bereits auf ihre Ankunft vorbereitet. Einer von Peters Burschen hatte sich im Wachhaus herumgedrückt und war nun vorgeschickt worden, um Reinhard Bescheid zu geben, dem Christian für die Zeit seiner Abwesenheit das Kommando über die Burg übertragen hatte.
So füllte sich der Burghof rasch mit Menschen, die sich noch die Augen rieben oder verstohlen gähnten, weil sie aus dem Schlaf gerissen worden waren, um die spät Angekommenen willkommen zu heißen und ihnen die Pferde abzunehmen.
Ein paar Mägde, die ohnehin noch nicht im Bett gewesen waren, liefen herbei, um Brot, Schinken und Käse zu bringen; Mechthild ließ das Feuer in der Küche wieder schüren, damit bald auch etwas Heißes für die Heimgekehrten und die Edelleute in ihrer Begleitung auf den Tisch gelangte.
Während Marthe nach oben lief, um nach ihren Kindern zu sehen, die bereits tief schliefen, betrachtete Lukas mit ebenso erstauntem wie zärtlichem Blick Rainas nun schon gewölbten Bauch. Sie hatte ihn erst scheu, beinahe ängstlich angesehen, als fürchte sie, er könne seine Zusage inzwischen bereut haben, ihr Kind als seines anzuerkennen. Doch als er ihr zulächelte, lächelte sie zurück.
Es schien Raina gutzugehen, ihre Wangen waren gerundet, ihre Brüste voller, und angesichts seiner aufmunternden Miene strahlte sie so viel Freude aus, dass ihr Anblick ihn rührte.
Weitere Kostenlose Bücher