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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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werden viele eurer Verwandten und Bekannten sein. Die meisten Dörfer bis vor Magdeburg sind verwüstet. Es wird schwierig für sie werden, auch nur das Nötigste zu finden, um nicht zu verhungern.«
    Unzählige Stimmen schwirrten nun durcheinander und vermischten sich zu einem Getöse, aus dem ein paar laute Rufe heraushallten.
    »Wisst Ihr, ob mein Bruder dabei ist? Er heißt Hans und hat nur noch vier Finger an der rechten Hand«, rief eine Frau besorgt, die ganz nah bei Marthe stand und unter deren hastig gebundenem Tuch ein paar graue Strähnen hervorlugten.
    »Hat unser Herr Christian etwas von einem Steiger Klaus gehört?«, wollte ein Mann mit von Sorgen zerfurchtem Gesicht neben ihr wissen. Von allen Seiten drangen solche Fragen zu Marthe. Der Bergmeister musste einschreiten, um ihr erneut Gehör zu verschaffen.
    »Ich kann euch keine Namen nennen«, rief sie mit ausgebreiteten Armen. »Aber ganz gleich, ob es eure Verwandten oder Fremde sind, wir müssen ihnen helfen und Vorsorge treffen, dass wir nicht auch noch hier von einer Hungersnot heimgesucht werden, bevor die Ernte eingebracht ist.«
    Sie richtete den Blick bewusst nicht auf die Gruppe der Bergleute, sondern auf die der Händler und Handwerker.
    »Jeder von euch soll überlegen, ob und wie viele Menschen er aufnehmen kann, zumindest zeitweise. Und wir müssen ihnen Korn schicken, damit sie unterwegs nicht verhungern.«
    Auf ihr Zeichen hin traten Hans und Friedrich an ihre Seite.
    »Diese ehrbaren Fuhrleute, die ihr gut kennt, werden heute noch aufbrechen, um ihnen mit einer Ladung Proviant entgegenzufahren. Jeder von euch soll beisteuern, was er entbehren kann. Gott wird es euch lohnen.«
    Sie legte eine winzige Pause ein, bevor sie weitersprach. »Ich weiß, die Vorratskammern und Speicher sind vor der Ernte fast leer. Aber diese Menschen brauchen unsere Hilfe. Denkt daran, wie es war, als ihr hierherzogt. Jeder von euch ist nur mit dem Nötigsten aufgebrochen. Sie haben noch weniger, sie konnten nichts retten außer ihrem Werkzeug. Schaut nach, was ihr an Korn und Früchten entbehren könnt, damit sie nicht verhungern! Seht dabei nicht nur in eure Vorratskammern, sondern auch in eure Herzen!«
    Wieder ließ sie eine Pause, damit die Menschen über ihre Worte nachsinnen konnten.
    Jonas, der Schmied, war der Erste, der das Schweigen brach. »Ich gebe eine Ziege, damit die Kleinsten nicht sterben müssen, wenn bei ihren Müttern die Milch versiegt!«, rief er quer über den Burghof.
    »Gut gesprochen, Meister Schmied! Das störrische Biest wird uns die Reise etwas abwechslungsreicher machen«, rief Friedrich zu ihm hinüber, und sein Scherz schien das Eis zu brechen. Einer versprach einen Sack Hirse, der Nächste einen Scheffel Bohnen, Hafer oder einen Sack Mehl. Auch Karl steuerte eine Ziege bei. Immer mehr Menschen liefen los, um etwas von dem zu holen, das sie gerade noch entbehren konnten, bis die Ernte eingebracht war.
    Marthe richtete einen auffordernden Blick auf Sebastian und Josef.
    »Ich werde für ihr Wohl beten«, erklärte der dürre Pfarrer mit selbstgerechter Miene. Marthe dankte ihm höflich und erleichtert. Das war mehr, als sie erwartet hatte von diesem Eiferer. Lukas hingegen blickte ihm verächtlich nach, als er ging.
    Josef, der Tuchhändler, räusperte sich. »Ich werde heute Abend alle Händler zusammenrufen, um mit ihnen zu beraten, was wir tun können«, verkündete er.
    Als Marthe ihn mit leicht geneigtem Kopf anblickte, ohne ein Wort zu sagen, als erwarte sie, dass er weitersprach, blieb ihm nichts anderes übrig, als noch eine konkrete Zusage zu machen. »Womöglich kann ich auch zwei oder drei Gänse entbehren.«
    »Oh, danke für Euer großherziges Angebot«, heuchelte Marthe Begeisterung, wenig erschüttert über Josefs Mangel an Verständnis und Bereitschaft, zu helfen. »Doch zwei Gänse für vierhundert Menschen lassen sich wahrscheinlich schlecht aufteilen. Mit Hirse oder Erbsen wäre ihnen vielleicht besser gedient.«
    »Natürlich, natürlich«, brummte Josef. »Ich werde sofort gehen und sehen, was wir entbehren können.«
    Der Vorstoß von Hermann, Jonas und einigen anderen Befürwortern des Stadtrechtes hatte zu wenig Anhänger gefunden, um den Dorfschulzen zum Handeln zu bewegen oder in seiner Position zu erschüttern. Mit Christians Rückkehr und Albrechts Abzug sahen die meisten keine Notwendigkeit mehr zu solch einem folgenreichen Schritt. Denn Stadtbürger hatten zwar mehr Rechte, mussten dafür aber

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