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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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aus dem Harz zu informieren.
    Jeder, der von dort stammte, war aufgefordert, zu schauen, ob unter den Neuankömmlingen Verwandte oder Bekannte waren, die er vorläufig bei sich aufnehmen konnte.
    Marthes Herz jedoch klopfte immer schneller vor Freude auf das Wiedersehen mit Christian. Clara trat neben sie und griff nach ihrer Hand.
    »Darf ich Vater entgegenlaufen?«, bat sie.
    »Nur zu!«, ermunterte Marthe sie lächelnd. »Und nimm Daniel mit.«
    Ihr Jüngster war schon herbeigesaust und trippelte aufgeregt auf der Stelle, um sofort losrennen zu können.
    Wehmütig sah Marthe ihren Kindern nach, denen sie am liebsten gefolgt wäre. Aber natürlich wurde von ihr erwartet, dass sie ihren Gemahl sittsam am Burgtor erwartete und mit einem Willkommenstrunk begrüßte.
     
    Schon von weitem kündete vieles von den Strapazen und Entbehrungen, die die Menschen vom Rammelsberg während ihres eiligen Marsches in den letzten Wochen hatten durchleben müssen. Marthe erschrak angesichts dessen, was sie selbst aus dieser Entfernung erkennen konnte: Abgesehen von den Rittern und Reisigen, liefen alle zu Fuß. Manche kamen mit leeren Händen, andere trugen ein Bündel oder hatten eines der kleinsten Kinder auf dem Arm oder auf den Schultern. Vielen war die übergroße Erschöpfung schon am Gang anzusehen, obwohl es die meisten einfachen Menschen gewohnt waren, an einem Tag zehn oder zwanzig Meilen zu Fuß zurückzulegen.
    Hans’ und Friedrichs Karren bildete den Abschluss des nicht enden wollenden Zuges, der sich der Burg entgegenwand. Auf die fast leere Fläche lagen ein paar Körper gebettet. Marthe konnte eine hochschwangere Frau erkennen und ein paar Kinder, die noch so klein waren, dass sie nicht laufen konnten.
    Dann aber richtete sie alle Blicke auf Christian und Dietrich, die an der Spitze des Zuges ritten und nur noch ein paar Schritte vom Tor entfernt waren.
    Rasch griff sie nach dem Willkommenspokal, den ihr jemand reichte, und lief ihnen entgegen.
    »Gott sei es gedankt, ihr seid gesund zurück«, begrüßte sie freudestrahlend ihren Mann und dessen Knappen. Christians Blick sagte ihr, dass er sie genauso vermisst hatte wie sie ihn. Dann griff er dankbar nach dem kühlen Bier, trank durstig und reichte den Becher an Dietrich weiter.
    Währenddessen hatte Marthe Gelegenheit, die Gesichter der beiden Reiter zu mustern. Sie wirkten müde, und selbst unter all dem Staub konnte sie die tiefen Schatten um ihre Augen sehen. Beide wirkten um mehrere Jahre gealtert, Dietrich schien unterwegs auf unbestimmte Weise erwachsen geworden zu sein.
    Nach dem förmlichen Willkommen für den Burgherrn trat sie beiseite, damit die Kolonne auf den Burghof einziehen konnte. Der füllte sich rasch; das Durcheinander war unbeschreiblich.
    Etliche der Neuankömmlinge weinten vor Erleichterung, manche sanken auf die Knie und beteten. Die Mägde, die Bier und Brot austeilten, waren im Nu von Menschen umringt. Auch die alte Grete hatte sich auf Marthes Bitte eingefunden, um zu helfen.
    Durch das Gewimmel drängten sich schon die ersten Christiansdorfer, um Ausschau nach vertrauten Gesichtern zu halten. Bald mischten sich die ersten überraschten Freudenschreie in den allgemeinen Tumult, lagen sich Menschen in den Armen, die nie damit gerechnet hatten, sich im Leben noch einmal wiederzusehen.
    Marthe riss die Augen von dem Durcheinander los und folgte Christian. Der saß gerade ab und klopfte seinem verschwitzten Rappen anerkennend auf den Hals. »Gut gemacht«, murmelte er. »Gut gemacht.« Sofort war der junge Christian heran und nahm ihm das Pferd ab.
    »Kannst du dich um die Frau auf dem Karren kümmern?«, bat der Burgherr Marthe als Erstes. »Ihr Kind kommt, und wir fürchteten schon, dass sie es nicht mehr bis hierher schafft.« Seine Miene verdüsterte sich. »Wir haben unterwegs bereits eine Schwangere und ihr Kind verloren.«
    Marthe nickte nur und kehrte sofort um. Sie brauchte einen Moment, um in dem Durcheinander Friedrich und Hans mit ihrem Fuhrwerk zu entdecken, dann bahnte sie sich den Weg zwischen den Menschen hindurch dorthin.
    Die Kreißende lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem hölzernen Boden des Karrens, ihre Stirn war schweißnass, ebenso die dunklen Haarsträhnen, die unter ihrem verrutschten Kopftuch hervorquollen. Zwei verängstigt wirkende Frauen saßen an ihrer Seite und blickten sich in dem heillosen Durcheinander suchend um. Daneben standen drei Kinder mit verschmierten Gesichtern, schnieften oder

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