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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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geradezu überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Dorfbewohner, ließ sich Marthe auf den Stapel Korn und Hülsenfrüchte sinken, den Hans und Friedrich nicht mehr hatten mitnehmen können, schlug die Hände vors Gesicht und begann vor Freude und Erleichterung zu weinen.
    Vier Tage später kamen Kuno und Bertram zurück, mit abgetriebenen Pferden, doch begierig darauf, Nachricht von Christian loszuwerden. Marthe lief ihnen über den Hof entgegen, als jemand ihr die Rückkehr der beiden vermeldete.
    »Er sagte, gesegnet seiet Ihr für Eure Umsicht«, berichtete Kuno, noch atemlos, aber voller Tatendrang. »In drei Tagen sind sie hier.«

Die Bergleute vom Rammelsberg
    Am Tag, an dem sie Christians Ankunft erwarteten, ließ Marthe Peter nach Christians großer Kolonne Ausschau halten. Während der Stallbursche begeistert davonstob, erinnerte sich Marthe mit wehmütigem Lächeln daran, wie früher, in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft in Christiansdorf, stets Kuno und Bertram diese Aufgabe übernommen hatten.
    Es schien ihr vor einer halben Ewigkeit gewesen, dass die beiden als zehnjährige Burschen auf hohe Bäume geklettert waren, die den damals noch winzigen Weiler umgaben, und mit den Beinen baumelnd Ausschau nach Christian und seinem Knappen Lukas hielten.
    Jetzt waren sie erwachsene Männer, Kuno schon ein stolzer Vater, und auch Bertram würde bald heiraten, wenn Christian erst zurück war.
    Wir sind alle älter geworden, sann Marthe nach, der es vorkam, als wollte die Zeit bis zu Christians Ankunft einfach nicht vergehen.
    Das erste in Christiansdorf geborene Kind war nun schon ein dreizehnjähriger Bursche und schaute heimlich den Mädchen nach; der bei ihrem Aufbruch aus Franken noch junge Schmied Jonas war ein gestandener Mann mit einer wilden Kinderschar, und die kleinen Mädchen Johanna und Marie, von denen beim Aufbruch niemand ahnen konnte, dass sie einmal ihre Stieftöchter würden, waren nun bildhübsche junge Frauen, von denen eine bereits ein Töchterchen stillte.
    Friedrich, der Fuhrmann, hatte die Haare verloren, und selbst Mechthilds schier unerschöpfliche Energie schien sich zu verbrauchen. Die gute Seele und heimliche Herrscherin über Speicher und Küche auf der Burg klagte seit einiger Zeit über angeschwollene Beine, jede Anstrengung ließ ihr die Luft knapp werden, und während Marthes und Christians Reise nach Gelnhausen hatte sich Mechthilds Zustand in einem Maße verschlechtert, dass Marthe sie mit strengen Worten dazu bringen musste, Arbeit an andere abzutreten. Aller-dings dürfte es ihr schwerfallen, Mechthild ausgerechnet jetzt zu überreden, sich etwas Ruhe zu gönnen, wo doch Christian jeden Moment mit seiner Schar Hilfsbedürftiger eintreffen konnte und außerdem zwei Hochzeiten vorzubereiten waren.
    Noch war von Christian und seinem Siedlerzug nichts zu sehen und zu hören, doch bis zu ihrer Ankunft konnte es nicht mehr lange dauern. So blieb Marthe einfach auf dem Hackklotz sitzen, auf den sie sich hatte sinken lassen, und verlor sich weiter in Gedanken.
    Ich bin nun sechsundzwanzig Jahre, genau doppelt so alt wie damals, als ich aus meinem Dorf fliehen musste, sinnierte sie weiter. Gemessen am Leben einer Bäuerin, bin ich schon fast eine alte Frau. Doch Gott hatte es gnädig mit ihr gemeint: Sie war immer noch schlank, besaß noch alle Zähne bis auf einen hinteren Backenzahn, hatte von den Schwangerschaften keine hässlichen Streifen zurückbehalten, und ihre Brüste waren zu klein, um schlaff herunterzuhängen.
    Dabei wurde ihr ältester Sohn bald zehn Jahre alt und musste sich an Ottos Hof nicht nur vor seinen unnachgiebigen Ausbildern behaupten, sondern auch gegen die hinterlistigen Angriffe von Randolfs Sohn Rutger. Selbst ihren Jüngsten, den kleinen Daniel, würden sie bald ziehen lassen müssen, damit er seine Ausbildung als Page und später Knappe aufnahm. Clara, die Tochter, an der sie so hing, weil sie ihr in vielen Dingen ähnelte, würde in vier Jahren als heiratsfähig gelten! Aber Marthe hatte so eine Ahnung, dass die jetzt Achtjährige ein anderes Leben wählen würde als die meisten Mädchen aus höhergestellten Familien, die nur darauf aus waren, bald zu heiraten, um dem strengen Vater oder dem ereignislosen Leben im Kloster zu entkommen und selbst das Gesinde herumkommandieren zu dürfen.
    Nun habe ich genau mein halbes Leben in Christiansdorf verbracht, ging ihr durch den Kopf. Als wir hier ankamen, war ich die Geringste unter all den Siedlern – und

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