Die Entscheidung der Hebamme
Befehle, aber ich lasse Euch für einen Moment allein, damit Ihr mit Eurer Frau reden könnt. Habe ich Euer Wort, Christian, dass Ihr nichts unternehmen werdet, um zu entkommen?«
»Ihr habt es«, entgegnete Christian. »Ich fliehe nicht. Ein solches Schuldeingeständnis werde ich Albrecht nicht liefern. Denkt Ihr, ich weiß nicht, warum er mich nicht an die Kerkermauern ketten ließ?«
Grimmig wies Christian auf die ins Gestein eingelassenen Ringe und Schellen. Seine Hand- und Fußketten schränkten zwar seine Bewegungen ein, aber innerhalb des Verlieses konnte er sich frei bewegen. »Er muss mir schon öffentlich den Prozess machen, wenn er mich hinrichten lassen will.«
Bevor Hartmut die Leiter hinaufkletterte, drehte er sich noch einmal zu Marthe um. »Versucht, ihn umzustimmen, sonst verliert Ihr Euern Mann«, sagte er mit Nachdruck, und aus seiner Stimme klang ehrliches Mitgefühl. »Albrecht wird morgen über ihn richten. Und er wird keine Gnade zeigen.«
Sie wussten beide, dass Hartmut neben der Luke stand, sie beobachtete und jedes laut gesprochene Wort hörte, das sie wechselten.
Doch Marthe konnte nicht anders, als zu Christian zu stürzen und ihn verzweifelt zu umarmen. Der Gedanke, dass sein warmer, lebendiger Körper morgen schon nur noch entseeltes Fleisch sein konnte, überstieg ihr Vorstellungsvermögen.
»Warum nur?«, flüsterte sie wieder und wieder.
Christians Ketten klirrten, als er ihr übers Haar strich.
»Mach mir das Herz nicht noch schwerer, Liebste«, sagte er leise.
Vorsichtig löste er sich von ihr, hielt sie an den Armen und trat einen halben Schritt zurück.
»Albrecht schickt dich, um mich kleinzukriegen«, sagte er, während er sie mit zärtlicher Trauer ansah. »Er will mich loswerden und gleichzeitig ein Exempel statuieren. Er weiß, dass er damit gegen jedes Recht verstößt. Wenn ich mich schuldig bekenne, hat er sein Ziel erreicht, ohne dass ihm jemand einen Rechtsbruch nachsagen kann. Und den Gefallen werde ich ihm nicht tun. Es wäre Verrat an allem, was einem Ritter heilig sein sollte. Verrat an den Menschen in unserem Dorf und an allen, die unseren Schutz benötigen. Ich weiß, unsere Kinder sind in Sicherheit. Aber ich kann nicht Kuno, Bertram und die anderen für meine Befehle mit dem Leben büßen lassen.«
»Baust du darauf, dass er es nicht wagen würde?«, fragte sie, während ein winziges Fünkchen Hoffnung in ihr aufglomm, das mit Christians Antwort sofort wieder erlosch.
»Doch, er wird es tun. Albrecht wird mich so oder so töten lassen – wenn nicht öffentlich, dann heimlich durch Mittelsmänner. Er kann nicht riskieren, dass sein Vater von seinen falschen und feigen Befehlen erfährt. Und von meinem Verdacht, dass er mit den Angreifern paktiert hat, um an das Silber zu kommen. Nur wäre es ihm lieber, ich unterwerfe mich. Das würde ihm ein Willkürurteil ersparen, mit dem er einen beträchtlichen Teil der Ritterschaft gegen sich aufbringen wird – womöglich sogar seinen Vater. Doch wenn ich mich nicht unterwerfe und er die Sache zu Ende bringt …«
»Das heißt, wenn er dich umbringen lässt, wenn du dich freiwillig in Ketten zur Schlachtbank führen lässt!«, rief Marthe verzweifelt.
Christian ignorierte ihren Einwurf. »Wenn er es wirklich wagt, mich töten zu lassen, wäre das ein so klares Unrecht, dass das Landding nicht darüber hinweggehen kann. Es wäre ein Signalfeuer für die ganze Mark Meißen, das Albrecht als Tyrann entlarvt.«
Marthe trat einen Schritt zurück. Sie suchte auf dem Boden nach dem Einstieg zum Fluchtweg, doch sie konnte ihn nicht entdecken. Christian musste ihn nach dem Weggang seiner Freunde wieder sorgfältig mit Steinplatten, Erde und Stroh zugedeckt haben.
»Soll ihn ein anderer nutzen, der zu Recht sein Heil in der Flucht sucht«, flüsterte er ihr zu.
»Du bist fest entschlossen?«, fragte sie noch einmal.
»Ja.« Eine Weile schwieg er und sah versonnen auf seine verzweifelte Frau. »Ich hätte längst sterben können in einer Schlacht oder einem Zweikampf. Mindestens zweimal bin ich dem Tod mit deiner und Lukas’ Hilfe nur um Haaresbreite entkommen. Vielleicht hat der Allmächtige beschlossen, dass meine Zeit nun wirklich abgelaufen ist. Ich bin Ihm dankbar für jeden Tag, den ich mit dir verbringen durfte, und für unsere Kinder. Ihnen wird nichts geschehen, dafür ist Vorsorge getroffen.«
Auf irgendeinem geheimen Weg musste er erfahren haben, dass Thomas und Daniel in der Kapelle Kirchenasyl
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