Die Entscheidung der Hebamme
Herrscher, der Milde walten lassen möge gegenüber der Familie eines Verurteilten. Für Albrecht war Christian bereits verurteilt. Doch sie war nicht bereit, ihren Mann als Verräter zu bezeichnen.
Sie wusste, dass jetzt auch das Leben ihrer Kinder in ihrer Hand lag. Christian war schon so gut wie verloren, ihr eigenes Schicksal kümmerte sie nun nicht mehr, aber es würden sich genug Mutige finden, um Clara weiteres Leid zu ersparen. Peter und seine Leute würden sie in Sicherheit bringen, ebenso ihre Brüder. Raimund und Lukas würden sich ihrer annehmen und für das Recht von Christians Kindern kämpfen, wenn Hedwig und Otto zurückkehrten.
»War es das, weshalb Ihr mich zu Euch bestellt habt, Herr?«, fragte sie scheinbar gleichmütig.
»Ich will dir nur die Möglichkeiten vor Augen führen«, erklärte er bedeutungsschwer. Lässig schlug er ein Bein über das andere, zupfte sein kostbares Obergewand zurecht und gab dem Pagen zu seiner Linken einen Wink, ihm den Becher zu füllen.
Vom schroffen »Du« wechselte er nun wieder zu einer höflichen Anrede.
»Als Zeichen meiner Gnade erlaube ich Euch, den Verräter im Verlies zu besuchen. Sprecht mit ihm. Wenn Ihr ihn dazu bringen könnt, dass er sein Vergehen morgen öffentlich eingesteht, schenke ich ihm sein Leben.«
Hartmut führte Marthe zum Bergfried und befahl den Wachen, die Luke zum Verlies zu öffnen und eine Leiter hinabzuhängen.
»Ich habe Befehl, Euch nicht aus den Augen zu lassen«, sagte er, und sein Bedauern klang echt.
Marthe erwiderte nichts darauf. Was sollte sie auch dazu sagen? Sie musste jetzt alle Kraft zusammennehmen, um bei dem vielleicht letzten Zusammensein mit ihrem Mann nicht in Tränen auszubrechen. Das würde für Christian alles nur noch schwerer machen.
Hartmut ließ sich eine Fackel reichen und kletterte zuerst die Leiter hinab. Dann trat er beiseite, damit Marthe ihm folgen konnte.
Sie hatte kaum die ersten Sprossen bewältigt, als der Kummer über ihr zusammenschlug. Mühevoll unterdrückte sie den gequälten Aufschrei, der sich mit aller Macht Bahn brechen wollte, und blinzelte die Tränen weg.
Ich werde nicht weinen, befahl sie sich, und kletterte weiter.
Hartmuts Fackel erhellte das Verlies so weit, dass sie sogar das schwache Lächeln erkennen konnte, mit dem Christian sie begrüßte.
Er war in Ketten, seine Kleidung noch vom Kampf blutverschmiert, doch zumindest dem ersten Anschein nach war er nicht gefoltert worden.
Sie hatte vor Hartmut nichts von ihren Gefühlen zeigen wollen, aber alle guten Vorsätze waren in diesem Augenblick vergessen. Sie flog auf Christian zu und presste sich an ihn. Er versuchte, sie zu umarmen, soweit es seine Ketten erlaubten.
»Warum nur?«, flüsterte sie ihm verzweifelt zu, während Tränen ihre Stimme erstickten und sie mit gesenkten Lidern nach dem Fluchtloch suchte, das er nicht benutzen wollte.
»Hat man dich zu mir gelassen, damit du mich umstimmst?«, fragte er laut genug, dass Hartmut jedes Wort verstehen konnte. »Soll ich öffentlich bereuen, meinem Eid als Ritter getreu gehandelt zu haben?«
Ihre Miene erstarrte. Sie löste sich von ihm und trat einen Schritt zurück.
»Markgraf Albrecht verspricht, dir dein Leben zu schenken, wenn du morgen vor allen dein Verbrechen eingestehst«, sagte sie mit flacher Stimme. »Er befahl mir, dir das zu übermitteln.«
Christian zog die Augenbrauen hoch. »
Markgraf
Albrecht? Ist Otto tot?«
»Ich weiß es nicht. Ich darf meine Kammer kaum verlassen«, antwortete sie und warf einen fragenden Blick zu Hartmut.
»Nein. Soweit wir wissen, ist er auf Befehl des Kaisers aus dem Gewahrsam des Thüringers entlassen und auf dem Weg nach Meißen. Albrecht lässt sich so nennen, bis sein Vater wieder die Regentschaft ausüben kann«, erklärte dieser, sichtlich verlegen.
»Und welches Verbrechen soll ich öffentlich eingestehen?« Diesmal richtete Christian die Frage direkt an Hartmut.
»Den Befehlen des Markgrafen widersprochen und den Silberschatz in Gefahr gebracht zu haben«, antwortete dieser.
»Ihr wisst so gut wie ich, dass ich richtig gehandelt habe, so wie es die Lage gebot«, fuhr Christian fort, wieder an Hartmut gewandt. »Und dass es gegen jedes Recht verstößt, wenn Albrecht allein ein Halsgericht über mich verhängt. Über meine Schuld oder Unschuld hat das Landding zu entscheiden.«
Elmars Ritter fühlte sich sichtlich unwohl. Nach kurzem Schweigen räusperte er sich und sagte: »Ich verstoße damit gegen meine
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