Die Entscheidung der Hebamme
gewährt wurde und Clara in Sicherheit war.
Zärtlich strich Christian Marthe übers Haar. Sie spürte das rostige Metall seiner Ketten an ihrer Wange, hörte die Ringe klirren.
»Also gibst du auf?«, flüsterte sie todunglücklich.
»Dann wäre ich geflohen«, antwortete er leise.
Seine Stimme klang nun wieder fest und laut. »Ich ergebe mich nicht, Liebste, ich gehe in einen Kampf. Vielleicht mein letzter, aber auf jeden Fall mein schwerster Kampf. Und ich bitte dich bei unserer großen, unsterblichen Liebe: Steh zu mir. Erniedrige dich morgen nicht vor Albrecht, um Gnade für mich zu erflehen. Er wird sie nicht gewähren, er will nur das Schauspiel genießen.«
Heftig presste er sie an sich. »Du warst immer mutiger, als es jeder von dir erwarten konnte. Sei es dieses eine Mal wieder!«
Marthe musste erneut ihre Tränen niederkämpfen. In ihren Gedanken stiegen Bilder auf, wie rohe Wachen morgen Christian in Ketten vorführten, Albrecht ihn niederknien ließ, wie ein Schwert auf seinen Nacken niedersauste. Die Vorstellung war so unfassbar, dass es sie vor Grauen schüttelte.
Aber sie würde Christian nicht umstimmen können. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Er war bereit, sein Leben zu opfern, um seine Getreuen zu schützen und vor aller Welt zu zeigen, dass Albrecht ein Tyrann war, der die Herrschaft über die Mark Meißen nicht verdiente. Die Kunde von dem zum Himmel schreienden Unrecht würde sofort die Runde in der Mark machen, sollte es sich Albrecht nicht doch noch im letzten Augenblick anders überlegen.
Dafür würden Christians Freunde sorgen.
Wenn sie jetzt zu weinen begann, würde er sie fortschicken. Er hatte recht, sie durfte es ihm nicht noch schwerer machen. Wenn sie ihm helfen wollte, dann blieb ihr nur eines: dafür zu sorgen, dass er seinen letzten Gang in Würde antreten konnte.
Sie küsste ihn verzweifelt, und bei dem Gedanken, dass es vielleicht der letzte Kuss sein würde, rannen ihr die Tränen über die Wangen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Mit Mühe löste sie sich von ihm, wischte sich das Gesicht ab und trat einen Schritt zurück.
»Du solltest morgen nicht diese schmutzigen Sachen tragen«, sagte sie, so beherrscht sie konnte.
Ohne seine Antwort abzuwarten, kletterte sie ein paar Stufen die Leiter hinauf. »Ist es erlaubt, meinem Mann saubere Kleider zu bringen und ihm den Bart zu scheren, bevor er morgen vor seinen Richter tritt?«
Hartmut überlegte kurz, dann befahl er ihr, im Verlies zu bleiben, und schickte einen der Soldaten, damit er alles Nötige herbeischaffte. Wahrscheinlich wollte er vermeiden, dass Marthe etwas zwischen die Sachen schmuggelte, das Christian zur Flucht verhelfen konnte.
Christian und Marthe wechselten kein Wort, während sie warteten, sondern sahen nur einander an.
Hartmut durchsuchte gewissenhaft das Kleiderbündel, das Waltrud brachte, dann ließ er einen Eimer warmes Wasser an einem Strick hinab. Mit Seife und einem Rasiermesser in der Hand folgte er selbst.
Er zögerte, Marthe beides zu übergeben.
»Ihr steht zu Euerm Wort, keinen Fluchtversuch zu unternehmen?«, fragte er, an Christian gewandt.
»Ja.«
Hartmut zögerte immer noch. »Ich überschreite meine Befugnisse. Und ich würde es bei keinem anderen gestatten. Doch Ihr versteht, dass ich Euch nicht allein lassen kann, wenn ich Eurer Frau dieses Messer aushändige. Beim ersten Verdacht werde ich Euch und Euer Weib töten müssen.«
Christian nickte ihm zu.
»Das wird nicht nötig sein«, sagte er ruhig.
Hartmut persönlich schloss einzeln die Schellen um die Hand- und Fußgelenke des Gefangenen auf, damit Marthe ihm die verschmutzten Sachen ausziehen konnte. Dann begann sie, mit langsamen, bedächtigen Bewegungen Christians Körper zu waschen.
Noch einmal fuhr sie mit den Fingern über jede einzelne seiner Narben – die Spuren von Randolfs Folter mit glühenden Eisen, die vernarbten Stellen, an denen Pfeile und Armbrustbolzen in seinen Unterschenkel und in sein Schlüsselbein gefahren waren, die sauber verheilte Wunde von einem Schwertstreich auf seinem Handrücken, die vielen Zeichen, die Jahre des Kampfes auf seinem Körper hinterlassen hatten.
Noch einmal nahm sie jedes Detail in sich auf, um es nie wieder zu vergessen. Wie oft hatte sie diesen Körper in den Armen gehalten, wie oft hatten sie sich hingebungsvoll geliebt, wie gern hätte sie ihn ein letztes Mal an sich gerissen. Doch sie wusste, dies war ein Abschied unter fremden Augen, und er sollte
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