Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
seinen Nachnamen. Aber als es darauf ankam, hat er gekämpft wie jemand, der den besten Namen verdient.«
Der Knecht wurde kirschrot und hätte sich am liebsten hinter Lottinger versteckt.
»Und das hier«, fuhr Mentiri fort, »ist Herr Hermann Lottinger, ein rechtschaffener Mann, der ebenso großen Mut bewies.«
Der Bauer aus Teichdorf biss sich auf die Unterlippe, schien zu überlegen, ob er etwas sagen sollte, und begnügte sich schließlich mit einer ungeschickten Verbeugung.
»Bei dem nächsten Herrn wiederum«, Mentiris Stimme schwoll an, »handelt es sich um niemand anders als einen ehemaligen Offizier von König Gustav II. Adolf von Schweden. Darf ich vorstellen? Nils Norby.«
Ein Raunen entstand, Augenbrauen schnellten in die Höhe, Stirnfalten gruben sich tiefer als zuvor.
Nils blickte in die Runde, wortlos, ein gelassenes Grinsen auf dem Gesicht.
»Ja, richtig gehört. Nils Norby. Viele dachten, er sei tot. Einst ein Feind des Kaiserreiches, ist er nun zu einem Helfer der guten Sache geworden. Der besten Sache überhaupt.« Bewusst ließ Mentiri einige Sekunden verstreichen, Ruhe kehrte ein. »Und ein besonderes Vergnügen bereitet es mir, Ihnen die einzige Dame unter meinen Helfern vorzustellen. Ich belasse es der Einfachheit halber bei ihrem Vornamen. Verehrte Herren – das ist Bernina.«
Diesmal kein Geraune, im Gegenteil, nichts als eine dumpfe Stille. Alle Blicke legten sich auf Bernina. Besonders der Kurfürst musterte sie erneut mit dieser Eindringlichkeit, forschend, nachdenklich, vielleicht sogar ungläubig.
»Und damit darf ich nun«, ergriff Mentiri von Neuem das Wort, »alle Anwesenden höflichst bitten, vor das Zelt zu treten.«
Abermals erhob sich Gemurmel, fragende Gesten, hier und da ein ratloses Feixen. Aber alle leisteten der Bitte Folge.
Draußen wurden sie von blauem Himmel und Sonnenschein empfangen, als wäre es Mentiri gelungen, sogar das Wetter für seinen großen Auftritt zu gewinnen.
Bernina hielt sich mit Nils, Lottinger und Ferdinand im Hintergrund auf. Der Kurfürst erwies Mentiri die Ehre und stellte sich neben ihn, während die übrigen hohen Herren beieinander standen.
Zunächst noch vom Kloster verdeckt, rumpelten die beiden Wagen heran, gelenkt von je einem Soldaten, mitten in die gleißende Helligkeit des Tages. Die Zugpferde hielten an, weitere Soldaten kamen hinzu, um die Kisten abzuladen, von den manche ziemlich angesengt waren, wie unschwer zu erkennen war. Bernina wusste, dass diese Inszenierung allein Mentiris Werk war, dass er in der zurückliegenden Nacht, wohl noch während der ärztlichen Behandlung, jede Einzelheit bereits in seinem Kopf durchgespielt hatte.
Nun trat Mentiri an die Kisten heran, beinahe grazil seine Bewegungen, wie bei einem Schauspieler. Mit seiner Rechten öffnete er erst eine, gleich eine zweite, dann eine dritte, mit übertriebenem Gestenreichtum und bedeutungsvoller Miene, und es war, als würde er lange eingekerkerten Freunden die Freiheit schenken.
Unvermittelt hielt er inne, um an der Ledertasche, die an seiner Seite herabbaumelte, ein wenig herumzunesteln. Er schien zu überlegen – und dann entschied er sich dazu, sich nicht weiter mit der Tasche zu beschäftigen. Sanft ergriff er einige der Bücher, um sie an den Kurfürsten weiterzureichen, der sie so respektvoll entgegennahm, wie sie ihm überreicht wurden. Maximilian blätterte, las mit stumm bebenden Lippen, befühlte das Papier der Seiten mit den Fingerkuppen, beugte sich schließlich selbst über die Kisten, um verschiedene Exemplare herauszuholen, wieder zu verstauen und gleich weitere Werke aus den anderen Kisten einer ebenso eingehenden Prüfung zu unterziehen.
Ein wirklich seltsames Bild, musste Bernina insgeheim denken. Zwei ältere Herren, versunken in die Welt der Bücher, völlig bezaubert, sogar bewegt, ganz still, mit fast kindlichem Entzücken. Und um sie herum eine Traube von Menschen, die gespannt zusah wie bei einem aufwendigen Bühnenschauspiel.
»In der Tat, in der Tat«, fand der Kurfürst erst nach geraumer Zeit seine Stimme wieder. »Ich bin erstaunt, mächtig erstaunt. Der weite Weg scheint sich wirklich gelohnt zu haben.« Gerade widmete er sich einem Folianten. Wie im Selbstgespräch fuhr er fort: »Viele Jahre ist es her, da war es mir ein großes Anliegen, diese außerordentlichen Werke, jedenfalls einen Teil davon, für meine Bibliothek zu gewinnen. Aber die Umstände, die Politik, der Krieg sorgten dafür, dass ich darauf verzichten
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